Die
Weihnachtsflut von 1717
Wenn
bei uns an der Küste über verheerende Sturmflutkatastrophen
gesprochen wird, dann gehört neben der Marcellusflut von1362
und der Allerheiligenflut von 1570, bestimmt auch die
Weihnachtsflut von 1717
mit dazu. Vielleicht machte die letztere deshalb so betroffen,
weil sich die Menschen auf ein friedvolles Weihnachtsfest
gefreut hatten und hinter deutlich erhöhten Deichen ein größeres
Sicher-heitsgefühl hatten. Wie so häufig in dieser Jahreszeit,
wütete wieder einmal ein Orkan aus südwestlicher Richtung an
unserer Küste. Aber in der Nacht vom 24. auf dem 25. Dezember
drehte er plötzlich auf Nord-West und drückte somit riesige
Wassermassen gegen die Inseln und das Festland. Dadurch brachen
reihenweise Deiche oder wurden völlig vernichtet. Die
ostfriesische Küste war anschließend an vielen
Deichbruchstellen mit Kolken übersät und die Überlebenden
brauchten danach lange, um die alte Deichlinie wieder
herzustellen und weitere Jahre um die entstandenen Schäden zu
beseitigen.
Mit
diesem schrecklichen Ereignis haben sich auch einige Autoren
befasst und ihre Eindrücke in Büchern festgehalten. Wer sich
mit den Details dieser Naturkatastrophe näher auseinandersetzen
möchte, sollte dazu die "Physische Geschichte der Nordseeküste" von
Fridrich Arends, bzw. das "Historisch - Theologisch Denkmal
der Wundervollen Wegen Gottes in den großen Wassern, welche
sich Anno 1717, den 25. Decemb. zu vielen Ländern so erschröcklich
ergossen“ von Johann Friederich Janshen oder C. M. Hafners
„Denkwürdigkeiten aus der ostfriesischen Geschichte“ von
1799, lesen. Über das westliche
Harlingerland hat zudem K.-H. Wiechers im „Ostfreeslandkalender“
von 1987, erschienen im Soltauverlag von Norden, einen Bericht
verfasst.
In dieser Literatur wird über die vielen Einzelschicksale
in den Dörfern entlang der Küste und auf den Inseln
ebenso berichtet, wie über das Horrorszenario welches
sich den Rettern ab dem 28. Dezember bot, als die Flut
allmählich zurückging. Dabei wurde über Halberfrorene
berichtet, die auf Bäumen, Dächern oder Strohhaufen z.
T. nackend ausharren mussten um auf Hilfe zu warten oder
über unendlich viele Todesopfer, vor allem Alte sowie Mütter
und Kinder, die sich teilweise aneinander geklammert
hatten und trotzdem der Flut nicht mehr entkommen konnten.
Auf die Schilderung weiterer Einzelheiten von
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Ostfriesland
wurde in dieser Schreckensnacht zu einem Großteil überflutet.
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Katastrophenopfern möchte ich an dieser Stelle verzichtenund
stattdessen lieber Gott von ganzen Herzen danken, dass unserem
Ort Vergleichbares erspart blieb, obwohl es auch hier eine Reihe
von Sturmschäden gegeben hat. Für Erwähnenswert halte ich
nach alten Überlieferungen höchstens, dass viele Bewohner
unseres Dorfes in dieser Schreckensnacht ebenfalls panikartig
ihre Häuser verließen und auf höher gelegene Ortsbereiche wie
zum „Hooge Warf“ oder gar auf den „Barkholter Berg“ geflüchtet
sind. Aber die Ängste waren grundlos, denn wie schon in vielen
Jahrhunderten zuvor machten die Fluten vor unserem Dorf halt,
so dass es nur bei den Sach-schäden geblieben ist. So
kam den Holtgastern auch in dieser Nacht die höhere Ortslage
auf dem oldenburgisch-ostfriesischen Geestrücken zu Gute.
Dennoch halte ich es für meine Chronistenpflicht, einige
Angaben zu den Schäden insgesamt zu machen:
Schäden - Opfer
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Amt
Esens
|
Amt
Wittmund
|
Gesamte
Nordseeküste
|
Weggespülte Häuser
Beschädigte Häuser
Menschen
Pferde
Rinder
Schafe
Schweine
|
231
422
842
348
1574
293
305
|
86
323
373
251
855
111
208
|
4.915
3.375
11.811
15.174
44.135
31.138
13.052
|
Bei
einer Bilanzierung der Schäden in Ostfriesland wurden rund 930
Häuser gezählt, die einfach weggespült und teilweise
kilometerweit entfernt wieder abgesetzt wurden.
Alleine im Harlingerland war der Deich
in dieser Nacht an 63 Stellen gebrochen. Die meisten
Menschenopfer hatten die Kirchspiele Westeraccum (397), Funnix
(243), Werdum (134) und Berdum (113) zu beklagen. Diese
Ortschaften wurden größtenteils zerstört. Während die für
Holtgast genannten Schäden im Vergleich zu diesen Zahlen
vernachlässigbar blieben, hier noch einige Angaben aus dem
Fulkumer Kirchenbuch, in dem auch über angetriebene Schiffe in
Uppum und bei Ochtersum berichtet wurde.
Der
damalige Pastor Schoof vermerkte zusätzlich: „Am
24.12.1717 bis 25.12. des Nachts wurden wir die grohse Sünden Flut
gewahr und fanden zum allerersten eine alte Frau, die im Wasser
ertrunken war bei Hinrich Kleins Haus. Sie hatte ein blaues
Schutztuch um den Kopf und niemand kannte sie“.
Nach seinen Worten sind bis
zum 4.1.1718 weitere 8 Tote und insgesamt 34 Leichen angetrieben
worden, die alle auf dem
Fulkumer Friedhof bestattet wurden. Für erwähnenswert halte
ich auch seine Angaben zum 1. Weihnachtstag an dem der Gottesdienst
ausfallen musste, weil die Fluten bis an der Kirchwarf standen.
Als nachts eine neue Flutwelle kam, haben die Bauern aus Groß-Fulkum
sogar ihre Kühe und Pferde in die Kirche getrieben.
Die
Schäden dieser Katastrophe wurden genau aufgelistet und können
für die jeweiligen Orte des Amtes Esens im Auricher
Staatsarchiv unter StAA Rep. 135, Nr. 23 und Rep. 4, B2q, Nr. 12
eingesehen werden. Doch es sollten dies nicht die einzigen Schäden
bleiben, die durch so eine Katastrophe verursacht wurden. |