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Die Holtgaster Heimat-Geschichte

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Durch die Inflation wurde auch keine Gedenkstätte für die Gefallenen des 1. Weltkrieges gebaut.

Der Inflation waren auch die für ein Heldendenkmal gesammelten Gelder zum Opfer gefallen. Ein Architekt aus Jever war mehrfach mit Entwürfen an der Schule hier. Aber die gesammelten Gelder reichten zur Ausführung der Entwürfe nicht aus. Somit wurde das Geld dem Denkmalsfond in Esens überwiesen. Dort hat die Kirchengemeinde ihren Gefallenen ein Heldengedenkbuch gewidmet, dass alljährlich am Heldengedenktage jedermann zur Einsicht vor dem Altar ausgelegt wird. Fernerhin hat Esens ein Heldendenkmal vor dem Amtsgericht errichten lassen.

Holtgast hat bis auf den heutigen Tag weder ein eigenes Denkmal noch einen dem Heldengedenken geweihten Platz. Jedem Veteranen von 1870 / 71 wurde auf dem neuen Schulhof eine Eiche gepflanzt. Heute steht davon noch eine. Den Gefallenen von 1914 bis 18 mag eine spätere Zeit hoffentlich einmal ein sichtbares Erinnerungsmal errichten.  

Das Ortsbild im neuen Jahrhundert

Quelle: Becker´sche Chronik

Holtgast entwickelte sich prächtig. Div. Baumaßnahmen veränderten das Ortsbild. In gemeinschaftlicher Arbeit

 

 

 

. Denn unser Streben geht dahin, ein recht schönes Dorfbild zu bekommen.

Die Bewohner tun zum allergrößten Teil ihr bestes, zu ihrem Teil zur Verschönerung mitzuhelfen. Viele finden ihren besonderen Stolz darin, schöne Zier- und Blumengärten an der Straßen- oder Wegseite anzulegen. Der Obst- und  Gemüsegarten, von wohl gepflegten Büschen oder Ligusterhecken umgeben, darf nicht fehlen. Prachtvoll blühende Topfblumen schmücken die blank geputzten Fenster. Kinder wetteifern schon mit den Erwachsenen, die Gartenwege und die Wege ums Haus vom Unkraut zu reinigen und zum Sonntag zu harken.

Die Fußwege haben in den letzten Jahren eine merkliche Verbesserung erfahren. In dorfgemeinschaftlicher Arbeit, wobei die Bauern die Spanndienste tun, werden wenigstens zweimal im Jahr die Wege instand gesetzt. Wegeschilder machen darauf aufmerksam, dass das Fahren und Reiten auf den Fußwegen streng untersagt ist.

Viel mühevolle Arbeit verursacht immer die Reinigung der Wassergräben. Sie ist aber unbedingt erforderlich, um die Wege und Ländereien zu entwässern. Seitdem der freiwillige Arbeitsdienst das Klampertief hinter Fulkum gründlich in Ordnung gebracht und verbreitert hat, steht die niedrige Mulde zwischen Barkholt und Holtgast viel seltener unter Wasser. Durch zielbewusste großzügige Entwässerung müsste es noch einmal gelingen, auch das Holtgaster Moor- und Sumpfland hinter dem Walde besser trocken zu legen, damit es mehr als bisher der Ernährung unseres Volkes dienstbar gemacht werden könnte.

 Wie landhungrig unsere Holtgaster noch immer sind, wie gerne sie also noch immer mehr leisten und arbeiten möchten, zeigt sich .... bei Verpachtungen. Ein großer Teil des Schafhauser Waldes diesseits des Kanals ist vor einigen Jahren ausgerodet und zum Ackerbau freigegeben worden. Viele Holtgaster, s. g. „lüttje Lüe“ haben nun dort ihre Getreide- oder Kartoffeläcker. Viel Schweiß hat das Ausroden der Baumstämme gekostet, verhältnismäßig karg lohnt der Boden die saure Mühe, aber unentwegter Fleiß zwingt ihn doch mit der Zeit mehr zu spenden als ihm zugeführt wird.

Man muß den Leuten einmal bei ihrer schweren Landarbeit einmal in die Augen geschaut und mit ihnen gesprochen haben, man muß ihnen die schwieligen Hände gedrückt haben, mit welcher Freude und welchem Eifer sie diese Arbeit verrichten, wie sie am Boden hängen und mit ihrem Boden aufs innigste und tiefste verwurzelt sind.

 

 

Viele Ländereien sind von hohen Erdwällen umgeben. Leider stehen diese nur zu häufig kahl da. Es erhöht jedenfalls den Reiz der Landschaft, wenn die Wälle mit hohen Bäumen und Gesträuch bewachsen sind, wie wir es auf der Geest in Innern Ostfrieslands mehr vorfinden. Solche Wälle bieten den Weidetieren nicht nur Schutz gegen Wind und Wetter und den Vögeln beste Wohngelegenheit, sondern erfreuen auch das Auge des naturliebenden Menschen. Unser deutsches Vaterland und unsere engere Heimat sind so schön, so wunderschön, wenn wir es nur erkennen wollen.

Zeitraum: nach 1914/18 -


Zeitraum: unbekannt - Urnenfund auf dem Hof Goldenstein

Johann H. Goldenstein hat beim Bau seines Backhauses eine Urne gefunden. Sie ist aus Ton,- leider beschädigt, - und enthält Aschereste. Holtgast hat also gewiss an der Stelle einen Urnenfriedhof gehabt, Handschriftlich wurde später noch hinzugefügt: Diese Urne ist jetzt im Provinzial Museum in Hannover, wie mir Dr. Marschallek 1954 erzählte:

 

Zeitraum: 1936 - Holtgast ein Dorf der alten Leute?

 Es ist keine Seltenheit, dass Mitbewohner 90 Jahre und mehr alt werden. Obwohl der Tod in den letzten Jahren mächtig unter den alten Leuten aufgeräumt hat. Leben doch noch 25 Greise und Greisinnen, die über 70 Jahre alt sind. Es folgt eine Auflistung von Ehepaaren, die ihre „Goldene Hochzeit“ feierten, auf die ich aber bis auf Mense Feith nicht näher eingehe.

Mense Feith war Kriegsteilnehmer 1870/71 und lange Jahre Gemeindevorsteher. Erst im Jahre 1917 als das Amt immer höhere Ansprüche an den Träger stellte legte er die Bürde nieder. Rudolf Fischer, der heute 86 Lenze zählt, wurde für wenige Jahre sein Nachfolger. In dem Inflationsjahr 1923 leitete dann Gerke Sjuts Gerken die Gemeindegeschicke. Erfand seinen Nachfolger in Diedrich Taddigs, der bis 1933 Gemeindevorsteher blieb. Seitdem leitet nun der Bürgermeister Theodor Gerdes die Geschicke unserer Gemeinde.  

 

Zeitraum: um 1936 – Die Kriegsgräberfürsorge.

Die Kriegsgräberfürsorge hat es sich zur Aufgabe gemacht,  die Heldenfriedhöfe würdig instand zu setzen. Auch unsere Schulkinder sind der Kriegsgräberfürsorge beigetreten und tragen ein wenig dazu bei, den toten Helden ihren Dank abzustatten. Aus diesen kleinen Auszügen mag man erkennen, wie wir in unserer Jugend deutsches Charaktergut zu pflegen uns bemühen. Es ist eine Herzenslust und –freude, unsere heranwachsende Jugend heute zu beobachten.

Anmerkung: In den nachfolgenden Zeilen, wobei auch noch eine Seite abgetrennt wurde, beschreibt der Verfasser die Begeisterung der Jugendlichen für Adolf Hitler und bezieht sich dabei auch auf die Jugendorganisationen des NS- Regimes.

Anschließend beweist Becker seine plattdeutschen Sprachkenntnisse, indem er ein alltägliches, jedoch belangloses Gespräch wiedergibt.  

 

Zeitraum: 1939 – Beginn des 2. Weltkrieges.

Zum Heeresdienst wurden bis Ende des Jahres 1939 eingezogen:

 

Zeitraum: 1939 – Das erste Kriegsjahr brachte einen eisigen Winter.

Ein ungewöhnlich kalter Winter ist dieser erste Kriegswinter. Die ältesten Leute können sich kaum entsinnen, solch starken Frost und anhaltende Kälte mit starkem Schneefall kennen gelernt zu haben. Auch 1929 hatten wir furchtbare Kälte. Sie hielt jedoch nicht solange an und außerdem waren die Transportschwierigkeiten nicht so groß, wie wir sie infolge des Krieges augenblicklich haben. Unsere Regierung tut alles, um auch den letzten Volksgenossen mit Brennmaterial zu versorgen. Infolge der Schneewehen ist jedoch eine Verkehrsstockung nicht zu vermeiden. Manchmal sitzen wohl 3 Eisenbahnzüge hintereinander fest. Es dauert dann stundenlang bis die vereisten Lokomotiven wieder frei sind. Der Autoverkehr ruht fast gänzlich. Nur die Militärwagen sind noch auf der Straße zu finden. Die Pumpen sind eingefroren und Wassermangel macht sich bereits bemerkbar. Aber auch wenn wir jetzt schon Ende Februar haben, so bleibt uns doch die hoffnungsvolle Gewissheit: „Es wird doch Frühling werden!“

Nach einem Hinweis auf Jubilare die ein Ehejubiläum feiern konnten, geht es weiter.

Die Schule ist seit dem 15. Januar wegen Kohlenknappheit geschlossen. Bei den teils recht weiten Schulwegen und den Schneeverwehungen, wie wir sie hiererorts nicht kennen, wäre ein ordnungsgemäßer Schulbesuch auch kaum durchführbar. Seit Kriegsausbruch hat der Lehrer auch den Schulunterricht in Utgast mit zu übernehmen. Somit ist in Holtgast nur noch an jedem 2. Tag Unterricht.

Um bei einem Fliegerangriff und Flackbeschuß etwas gegen Granatsplitter geschützt zu sein, haben sich die Schulkinder auf Anordnung des Landrats behelfsmäßig splttergeschützte Unterstände gebaut. Diese genügen jedoch den Anforderungen in keiner Weise und sollen nach Möglichkeit bald durch Strohbunker ersetzt werden.  

 

Zeitraum: 1941 – Ein neues Kriegsjahr bricht an

Am 30.1.41 starb nach 3-tägiger schwerer Krankheit der Soldat Remmer Jakobs im Lazarett zu Lüneburg. Die Leiche wurde nach Esens überführt, um dort mit auf dem Friedhof beigesetzt zu werden. Die Garnison hatte 9 Kameraden abkommandiert, dem Verstorbenen das letzte Geleit zu geben. Unsere Kriegerkameradschaft sah es als selbstverständliche Pflicht an, unter dumpfen Trommelwirbel mit umflorter Fahne dem Trauerzug voranzugehen. Aber auch die Feuerwehr und die Arbeiterfront hatten starke Abordnungen geschickt, so dass ein großer Trauerzug sich von der Leichenhalle des Krankenhauses durch die Stadt nach dem Friedhof bewegte.

Gleich nach dem Zusammenbruch Frankreichs sahen wir auch in Holtgast die ersten gefangenen Franzosen. Der Saal des Ziegelhofes ist als Lager hergerichtet und beherbergt etwa 50 Kriegsgefangene. Diese stehen bei den Bauern der Gemeinden  Sterbur, Holtgast, Utgast und Fulkum in Arbeit und werden jeden Morgen von einem Wachmann geschlossen an ihre Arbeitsstätte geführt und nach Feierabend wieder abgeholt. Ein Übernachten auf den einzelnen Bauernhöfen gibt es in diesem Krieg für Gefangene nicht. Im Allgemeinen sind die Bauern mit den gefangenen, die durchweg Nordfranzosen sind und aus der Landwirtschaft kommen, sehr zufrieden.

Nun wurde eine Zeile unkenntlich gemacht. Es geht weiter mit:

Weltkriegsteilnehmer Theodor Ennen und Frau Maria geb. Feith haben alle 5 Söhne: Georg, Menno, Hinrich, Theodor und Siebelt, dazu noch einen Schwiegersohn, im Felde stehen. Der jüngste Sohn Siebelt meldete sich freiwillig, als er noch keine 17 Jahre alt war. Hinrich diente als Wachmeister (Beschlagmeister) in Halberstadt, als der Krieg ausbrach. Alle Söhne sind zurückgekehrt.

Der Landwirt Focke Caspers und Frau Maria, geb. Brahms haben 3 Söhne, Johann, Frerich und Wilke, dazu 3 Schwiegersöhne unter den Waffen stehen. Beide Mütter tragen das goldene Mutterehrenkreuz. Leider sind Frerich und Wilke  nicht aus diesem Krieg zurückgehrt.

Im Krieg wurden Mütter die 4 und 5 Kinder das bronzene-, mit 6 und 7 Kinder das silberne und mit 8 und mehr Kindern das goldene Ehrenkreuz verliehen. Bis 1940 erhielten in Holtgast das goldene Mutterkreuz:

Maria Caspers, geb. Brahms; Maria Ennen, geb. Feith; Elisabeth Meents, geb. Bohlsen; Johanna Rieken, geb. Ihnels; Antje Claashsen, geb. Cassens; Theda Gerdes, geb. Harms; Trientje Jochenms, geb. Schuster; Trientje Frerichs, geb. Claashen; Elisabeth Dinkla, geb. Hinrichs; Anna Claashen, geb. Habben; und Johanna Liebermann, geb. Willms.

Das silberne Ehrenkreuz erhielten:

Christine Tigges, geb. Martens; Antje Eilts, geb. Weers; Wilhelmine Manott, geb. Gerken; Fentje ter Haar, geb. Janssen; Helene Kruse, geb. Siebens; Trientje Goldenstein, geb. Habben; Wübke Jacobs, geb, Janssen; Gretke Lübben, geb. Folkerts; Anna Arjans, geb Ihmels; Wübbine Janssen, geb König; Johanna Ippers, geb. Agena; Wilhelmine Hinrichs, geb Heeren; Isette Gerdes, geb. Caspers; Dina Janssen, geb. Schlüter und Trientje Duis, geb. Osterkamp.

Das bronzene Ehrenkreuz erhielten:

Tomma Ihnen, geb. Weers; Anna Krey, geb. Feith; Friederike Hanstein, geb. Hinrichs; Gretke Feldmann, geb. Janssen; Gretke Janssen, geb. Vogt; Wilhelmine Saathoff, geb. Speckmann; Elsa Uphoff, geb. Gerdes; Karline Steffens, geb. Bogena; Frieda Eilts, geb. Remmers; Hilde Eilts, geb. Janssen; Margarete Janssen, geb. Gerdes; Trientje Meyer, geb. Hinrichs; Gesche Eilts, geb. Deppermann; Dorette Wilts, geb. Edzards; Theda Bootjer, geb. Peters: Trientje Doden, geb. Janssen; Tätje Brauer, geb. Oldendörp; Folkea Habben, geb. Eilts und Tomma Bruns, geb. Harms.

In feierlicher Form wurde den vorgenannten Müttern das Ehrenkreuz durch die NSDAP überreicht. Die erste Feier war im „Ziegelhof“, die zweite Überreichung fand in der „Haltestelle“ statt. Die Kraftwagenbesitzer hatten sich bereit erklärt, alle älteren Mütter unentgeltlich aus ihrer Wohnung abzuholen und auch wieder zurückzubringen. Bei einem „Köpke Tee“ und reich mit Blumen geschmückten Tischen, auf den natürlich auch die Kuchen nicht fehlten, saß man noch lange im Trauten Kreise beisammen und der BDM erfreute die Mütter mit  passenden Liedern und Vorträgen.  

 

Nun fehlen wieder viele Zeilen.

Zeitraum: 1946 und davor – Die nächsten Eintragungen

Gebrochen an Leib und – Seele will ich versuchen, meine angefangene Dorfchronik fortzusetzen. Die Geschehnisse der Jahre 1945 bis 46 haben uns derart betäubt, verängstigt, enttäuscht und zermürbt, dass man es kaum wagt, etwas zu sagen, geschweige denn zu schreiben. Noch sieht man nicht klar, wie sich die Zukunft auch für unsere Dorfgemeinde gestalten wird. Spitzel sind mehr denn je an der Arbeit, Mitmenschen zu verdächtigen, anzuschwärzen und zu verraten. Der Judas Ischarioth hat sein bestes Betätigungsfeld gefunden und nützt die günstige Gelegenheit voll für sich aus. Meine Chronik habe ich bislang versteckt gehalten. Sie wäre nicht erhalten geblieben, falls man sie gefunden hätte.

Danach fehlen wieder einige Zeilen.  

 

Zeitraum: 1945 – Zusammenbruch des „Dritten Reiches“

Als am 7.5.1945 das Deutsche Reich zusammenbrach, stand der Feind schon vor  den Toren Aurichs. Der Geschützdonner war hier gut zu hören. Der Volkssturm hatte die Feinde unmöglich aufhalten können, hatte er doch weder Waffen noch andere Ausrüstung!  Wochenlang wurden von ihm Panzersperren gebaut, ganze Waldreviere wurden abgeholzt, dringend notwendige landwirtschaftliche Arbeiten blieben liegen – dafür wurde geschanzt auf Befehl von oben! Wohl nicht einer von uns hat den Wert dieser Maßnahmen begriffen. Wir machten uns lustig über die für uns so saure Arbeit, die in unseren Augen nur Kinderei war im Angesicht der überwältigenden Materialfülle unserer Feinde.

Holtgast hatte nur eine Panzersperre vor dem Bahn- und Straßenübergang über den Kanal beim Ziegelhof gebaut und zwar am 1. Ostersonntag 1945. Allen Beteiligten wird der Tag unvergessen bleiben, wie wir im Regen mit sämtlichen Fuhrwerken Straßen- und Häuserschutt herbeischaffen mussten. Mir persönlich, der ich zum Führer des Volkssturmes ernannt war, ist dieser Tag nun ein heiliger Gedenktag geworden, denn an diesem Tage ist mein lieber, einziger Junge noch ein Opfer des unseligen Krieges geworden. Die Nachricht haben wir erst Ende Mai 1946 erhalten.

Neben der Brücke über den Kanal lagerten 2 große Bomben, die zur gegebenen Zeit alles in die Luft sprengen sollten. Zu diesem Befehl ist es nicht mehr gekommen.  

 

Zeitraum: 1944 bis 45 – Große Kriegsschäden auch in Holtgast

Die letzten Kriegsmonate hatten auch unseren Ort schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der 15. Oktober 1944 wird unvergesslich bleiben, als am Sonntagabend Wilhelmshaven von vielen, vielen Bombenflugzeugen in Trümmer und Asche gelegt wurde. Auch über Holtgast wurden viele Sprengbomben und hunderte von Brandbomben  abgeworfen. Bald brannten allerlei Getreidehaufen dicht bei den Häusern, z. B. bei Johann Frerichs, Hinrich Dresch, Jakob Jakobs und Rickelf Hinrichs. Das Haus von Gerke Sj. Gerken stand in hellen Flammen und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Auch das Haus von Tjardes hatte Feuer gefangen, die Scheune wurde ein Raub der Flammen, während das Wohnhaus gerettet werden konnte. Überall flammten die abgeworfenen Brandbomben auf, ein schönes Bild und Feuerwerk, wenn es nicht so grausam gewesen wäre.

Waren wohl alle Sprengbomben krepiert oder lagen irgendwo noch lauernde Ungetüme mit Zeitzündern? Bei der Dunkelheit der Nacht war nichts mehr festzustellen. Die Straße nach Schweindorf, wo 7 Bauernhäuser aufbrannten, war hinter Feldmanns Haus von Schuttmassen überlagert, so dass sie nicht mehr befahrbar war.

Am nächsten Morgen sah man erst, was am Abend in unendlich langen Stunden von 7 bis 9 Uhr angerichtet worden war. Das Schulgebäude in erster Linie, dann aber auch viele andere Häuser, waren abgedeckt, die Fenster zersplittert, die Türen eingedrückt und die Mauern geborsten. Bei der Schule waren allein 60 Fensterscheiben entzwei, das Dach zeigte große Löcher, die Dachziegel waren ineinander geschoben. Etwa 30 m hinter dem Hause war ein tiefer Trichter, in dem das ganze Gebäude hätte hineingepackt werden können. Daneben ein verdächtiges kleineres Erdloch, in dem wir mit Recht einen Blindgänger vermuteten. Nach Absperrung und Räumung des Schulhauses von Menschen und Vieh wurde dieser Blindgänger von einem militärischen Kommando erst am Mittwoch ausgegraben und entschärft. Es war eine 250 kg – Bombe.

Verhängnisvoller war eine Zeitzünderbombe bei dem Hause der verstorbenen Gebrüder Jacobs, gepachtet von Johann Dirks. In der dunklen Morgenfrühe, als die Bewohner noch zu Bett lagen, krepierte diese Bombe und brachte das ganze Bauernhaus restlos zum Einsturz. Wie durch ein Wunder ist kein Menschenleben dabei zu Schaden gekommen, während die Tiere im Stall unter den Trümmern begraben wurden und umkamen. Auch das Platzgebäude von Rudolf Harms ging noch eine Zeitzünderbombe hoch, ohne erheblichen Schaden anzurichten.

Die meisten Bomben waren im Reihenwurf – Richtung Schule bis in den Loog hinein – abgeworfen worden. Eine Luftmine mit großem Luftdruck war nicht allzu weit von Gerkens Haus niedergegangen und hatte wohl großen Dach- und Fensterschaden angerichtet, aber bei all dem Unglück war nicht ein Mensch verletzt worden. Die meisten Menschen waren ins Freie geflüchtet und hatten sich platt in die Gräben gelegt.

Die Schulhausbewohner hatten die schrecklichen Stunden im Hausflur hinter dem Schornstein verbracht, zitternd und bebend an allen Gliedern, besonders als die Türen aufsprangen, die Dachziegel herunter prasselten, die Fenster zerklirrten und die Gardinen in Fetzen hin- und herwehten, magisch beleuchtet von dem roten Schein der brennenden Häuser und Getreidehaufen ringsumher.

Und was machten nun die berufenen Organisationen für solche Fälle? NLV, Feuerwehr? Sie waren bald zur Stelle kamen schon nach kürzester Zeit von Esens und von Wittmund mit dem Kreisleiter an der Spitze um zu helfen in erster Linie durch Speise und Trank! Die Schulkinder ließen es sich nicht nehmen den Bombentrichter hinter dem Schulhaus möglichst schnell wieder einzuebnen. „Nu erst recht!“ war ihre ständige Redensart, „wi laten uns nicht unnerkriegen, du Tommy!“

Der hat uns mit seinen Tieffliegern aber doch oft genug aus dem Schulzimmer vertrieben und nach Haus geschickt. Es war nicht mehr schön und kaum zu verantworten, noch so viele Kinder an einer Stelle zu versammeln. Hatten wir doch das furchtbare Ereignis in Esens, wo über 100 Schulkinder den Tod gefunden hatten, noch in lebhafter Erinnerung! So war wohl zu verstehen, wenn besonders angstvolle Mütter schon bei der geringsten Luftwarnung mit Herzklopfen an die Schultür pochten, um ihre Kinder nach Hause zu holen. Zuletzt wurden gottlob alle Schulen geschlossen. Es war ein geordneter Unterricht nicht mehr möglich.

Besonders  wurden aber die Züge angegriffen. Sie fuhren schließlich nur noch ganz selten und dazu auch nur während der Nacht. Ein Munitionszug wurde bei den „Schanzen“, wo der Weg nach Mimstede abbiegt, getroffen. Wohl gelang es dem Zugpersonal eine Reihe von Wagen abzukoppeln und aus dem Gefahrenbereich zu bringen, aber die Wirkung war auch so katastrophal und mehrere Mitfahrer kamen ums Leben. Noch zweimal erlebten wir einen Fliegerangriff.

Leider fehlen nun wieder etliche Seiten, die Aufschluss auf die Endphase des 2. Weltkrieges bei uns in Holtgast hätten geben können.  

 

Zeitraum: nach 1945  Die Nachkriegszeit

Nach Beendigung des Krieges begann man damit alle Leute aus ihren Ämtern zu entlassen, die mit den Nazis in Verbindung gebracht wurden. Zu diesem Personkreis gehörte auch der Lehrer Johann Becker aus Holtgast  ....

Er schreibt dazu: Das erste Opfer wurde ich. Am 26. Juli erhielt ich den Bescheid, dass ich auf Anordnung der Militärregierung aus dem Volksschuldienst entlassen sei. Meine Berufung wurde abgeschlagen. Da setzte sich die Gemeinde restlos für meine Wiedereinstellung ein. 97% aller Nichtparteigenossen hatten eine Eingabe unterschrieben; der Herr Superintendent Schomerus in Esens trat für mich ein; Ortsbauernführer, Schulsachbearbeiter und Kirchenvorsteher wurden persönlich bei der Militärregierung vorstellig, ich selber erkundigte mich dort über die Beweggründe meiner Entlassung, reichte dann noch einmal ein Gesuch ein, aber bis zum heutigen Tage ist kein entsprechender Entscheid gekommen. Nunmehr soll der „Kreisentnazifizierungsausschuss“ die Angelegenheit zunächst prüfen, daraufhin wird dann doch wohl bald ein endgültiger Bescheid der Militärregierung erfolgen. Jedenfalls liegen alle Dokumente mit 2 neuen großen Fragebogen (138 Fragen!) jetzt bei dem Kreisentnazifizierungsausschuss in Wittmund. Mit mir wurden unendlich viele Kollegen entlassen, alle, die irgendein Amt verwaltet hatten. Wie unterschiedlich trotzdem verfahren wurde, spottet jeglicher Beschreibung. Wer nachweisen konnte, dass er eine Differenz – meistens war es eine rein persönliche Sache oder Beleidigung – mit den Machthabern der verflossenen Jahre hatte oder einer Partei angehörte, die jetzt mit am Ruder ist, der ist obenauf und kann auch als Schulmeister im Amt bleiben. Wer stets versucht hat, seinen Beamteneid getreu, nicht nur gewissenhaft seine Pflicht im Schuldienst, sondern auch im ehrenamtlichen, vaterländischen Dienst zu erfüllen, der wird heute bestraft und existenzlos gemacht. Wo findet man da einen Ausweg? Ersatz für die fehlenden Lehrer bilden in erster Linie Flüchtlinge aus dem Osten, deren Papiere verloren gegangen sein sollen und die zum gr0ßen Teil nichts gewesen sind. Nicht einmal Pg.

In Holtgast unterrichtet ein 71 Jahre alter Flüchtlingslehrer aus Berlin ..........

Es fehlen wieder viele Seiten ......

Es geht weiter mit der Trauerveranstaltung für den Sohn von Johann Becker :

.............. Mehrere Häuser waren mit 3 und 4 Personen gekommen. Ihnen allen sei auch an dieser Stelle von Herzen gedankt für ihre rührende Anteilnahme an unserem tiefen Schmerz! Vor dem ausgelegten Heldenbuch am Altar lag ein großer Kranz mit einer Widmung der allernächsten Angehörigen. Der ergreifenden Trauerrede des Superintendenten Schomerus lag der gleiche Text zu Grunde, den Pastor Gramlich unseren toten Jungen mit ins Grab gegeben hatte. Nicht nur das wir die nächsten Leidtragenden aufs Tiefste erschüttert und beeindruckt die Kirche verließen, nein, alle Anwesenden waren tief gerührt und ein bekannter Kaufmann aus Esens, der teilgenommen hatte am sonntäglichen Gottesdienst mit der anschließenden Gedächtnisfeier, schrieb uns impulsiv noch nachmittags einen herzlichen Brief, obwohl er schon einmal seine herzliche Teilnahme schriftlich bezeugt hatte.

Ja es gibt mitfühlende Menschen, die auch heute noch fürs Vaterland gebrachte Heldenopfer dankbar anerkennen und zu würdigen wissen. Möge das gesamte deutsche Volk doch diese Toten niemals vergessen und versuchen an den Witwen und Waisen einen kleinen Teil der Dankesschuld abzutragen. Doch wie sieht´s heute mit der Kriegsversorgung aus? Das verarmte Volk ohne Brot und Existenz, ohne Einkommen hat kein Geld mehr. Die Versorgungsämter sind aufgelöst. Die Rentenzahlung ist der sozialen Fürsorge überlassen. Sie streicht, wo sie nur streichen kann! Wo soll sie auch das Geld hernehmen? Ein Wort verrät uns die trostlose Wirklichkeit: Flüchtlingselend!  

 

Zeitraum: nach 1945 – Das Flüchtlingsproblem

Holtgast mit seinen reichlich 400 Einwohnern beherbergt 170 Flüchtlinge. Die ersten Evakuierten, vor allem aus Stettin, Stolzenhagen, Pölitz, und Kolberg haben noch liebevolle Aufnahmen in den Wohnhäusern gefunden, wenn die Raumverhältnisse auch noch so knapp wurden. Aber die späteren Vertriebenen aus Schlesien fanden keinen Platz mehr und hausen im Augenblick noch in den Nissenbaracken, die die Militärregierung für die zur Entlassung kommenden deutschen Soldaten aufstellen ließ. Im Sommer ist diese Unterkunft wohl erträglich, was aber soll damit im kalten Winter werden? Die Gemeindeverwaltung hat es nicht leicht, wenn diese bedauernswerten Menschern nicht hungern und frieren sollen. Bei allem Entgegenkommen der meisten Gemeindeglieder sieht man auch viel Unstimmigkeit, Hader, Ungerechtigkeit, Selbstsucht, Zwietracht, Neid und Missgunst. Als im vorigen Jahr die Baracken aufgestellt wurden, da wollte jeder sie gerne auf seiner Hofstelle bei seinem Haus stehen haben. Sie würden ja, wie man versicherte, einmal den betreffenden Bauern als Eigentum überlassen werden. Ideale Geräteschuppen! Nun ist es anders gekommen. Auf einmal will man sie los sein, denn die Bewohner könnten lästig werden. Man reißt sie ab und baut sie auf dem Gemeindeweg vor Gerhard Adens Haus wieder auf. So geschehen im Sommer 1946, als viele Flüchtlinge fast buchstäblich auf der Straße saßen. Nur die Baracken hinter der Schule und bei der Klostermühle sind dort stehen geblieben.

Die Flüchtlinge haben fast alle ein Stückchen Gartenland erhalten und bauen sich mit mehr oder weniger Geschick ihr Gemüse selber an. Die rührigsten Leute haben auch lägst dauernde Arbeit gefunden. Viele Nichtstuer geben aber auch  zu lebhaften Klagen berechtigte Veranlassung. Sie liegen der Gemeindewohlfahrt zur Last, ohne dass es unbedingt erforderlich wäre. Da ist noch vieles zu bereinigen Bei dem Hungerleben, bei der traurigen Bekleidung will man die geringe Arbeitsenergie nicht ganz verbrauchen. Hier liegt eine Hauptwurzel alles Übels, wenn auch die unsicheren Geldverhältnisse  stark mit sprechen. Ja wie sieht es mit dem Gelde aus? Kommt eine Inflation oder eine Geldentwertung? Wir tasten im Dunkeln, vermuten alles und wissen nichts. Mir persönlich ist alles ersparte Vermögen ohnehin gesperrt und nur 250 RM kann ich monatlich abheben. Aber wie leben die anderen? Noch hat der Bauer Geld aber es wird weniger. Die Milchpreise sind hier bei der Molkerei stark gesunken. Butter und Magermilch gibt es wenig zurück. Ist es da zu verwundern, wenn viele zur Selbsthilfe greifen und selber heimlich buttern, wenn es auch verboten ist? Man hat im Sommer viele zusätzliche Arbeitskräfte nötig, sie müssen alle beköstigt werden, geben aber natürlich ihre paar Fett- und Brotmarken nicht ab. Was soll der Bauer machen? Er muss Essen geben und daher nehmen wo er´s findet. Im Stall in der Scheune, auf den Feldern!  

 

Zeitraum: nach 1945  Der Schwarzmarkt blüht.

Ja, ja, wo bleibt die Moral? Alle Moral ist umgewertet. Wer ist ein Held? Wer auf dem schwarzen Markt mit allen Schikanen zu kaufen versteht, ohne von der Polizei gepackt zu werden! Wer zu wuchern oder zu hamstern weiß, ohne wiederum mit der Polizei in Konflikt zu kommen! Wer zu schieben und zu bestechen versteht! Gebrauchen können alle alles, was nur angeboten wird, denn wir sind alle abgebrannt bis aufs Hemd und bis zum Hosenknopf und zum Streichholz hin. Am allermeisten tut aber der Hunger weh und für ein Stückchen Brot oder eine Kartoffel opfert man schon ein Vermögen und den letzten Groschen.

Gerade überschwemmt wird Ostfriesland und auch Holtgast, von den armen Hungernden aus dem Ruhrgebiet. Sie bieten alles: Mützen, Hüte, Kleider Schuh, Betten, Sammeltassen, Nägel, Feuerzeug, Feuerstein, Benzin, Petroleum, Säcke und was weiß ich! Aber nur im Tausch gegen Speck, Butter und Eiern! Wo soll das hinführen? Der Bauer kann überhaupt auch von Geschäftsleuten und Handwerkern nur etwas kriegen, wenn er Getreide oder vor allem Fettigkeiten mitbringt. Was sollen wir sagen, die wir nichts zu bieten haben als unsere Geldscheine, die keiner haben will! Das Volk hungert und geht zu Grunde, wie es die Absicht der Feinde war und ist.  Hinter Esens ist ein Lager mit vielen Ungarnern. Sie sind zu einer wahren Landplage geworden. Versorgt von der „Unrrä“ bieten sie vor allem Tee an und der ostfriesische Teetrinker zahlt ihnen dafür an Speck und Eier, was sie nur wünschen. In letzter Zeit nehmen sie auch Geld, 150 RM für ¼ Pfund Tee! Man spricht aber auch davon, dass auf dem schwarzen Markt für 1 Pfund Butter 250 bis 300 RM gezahlt würden. Ich führe die Preise an, damit die Nachwelt die ungesunde Geldwirtschaft erkennt. Der Arbeiterstundenlohn beträgt keine 70 Pfennig, die Steuern sind so hoch wie nirgendwo in der Welt. Aber das allerschlimmste – wer hat Arbeit? Ich persönlich helfe hin und wieder einem Bauern bei der Ernte oder bearbeite meinen Torf auf dem fernen Hochmoor bei Blomberg oder säge Holz. Der letzte Winter hat uns frieren lassen, da wollen und müssen wir vorsorgen, dass wir uns für den kommenden Winter mit Brennmaterial eindecken. Hausbrandkohle wird es nicht geben und der Förster darf auch kein Holz verkaufen.  

 

Zeitraum: nach 1945 – Hunger und Kälte führen zu kriminellen Handlungen und zur Anarchie.

Folglich stehlen viele Leute wo sie nur was finden! Den Torf vom Moor, die Bäume aus dem Wald, die Kartoffeln aus den Äckern, die Ähren von den reifenden Getreidefeldern, die Tabakblätter von den grünen Pflanzen, die Tiere von der Weide und die Schweine aus den Ställen! Die Diebstähle nehmen überhand! Räuberbanden, mit Pistolen bewaffnet, machen die Gegend unsicher. Sie haben schon allerhand Menschenleben auf dem Gewissen. Erst vor einigen Tagen verhaftete unsere Polizei auf der Haltestelle 3 junge Leute, die ihr Unwesen längere Zeit hier getrieben hatten und Waffen bei sich führten. Das hin und wieder die Milchkühe auch schon ausgemolken sind wenn der Besitzer am Morgen auf dem Felde erscheint ist schon keine Seltenheit mehr. Das Ausgehverbot während der nächtlichen Sperrzeit muss doch von vielen beachtet werden. Fensterscheiben werden ausgelöst oder eingeschlagen, um während der Nacht einzubrechen und Rundfunkgeräte und besonders Fahrräder mitgehen zu lassen. Die Bewohner, aus dem Schlaf erwacht, werden mit Mordinstrumenten in Schach gehalten und wagen nicht ihr Bett zu verlassen. Sogar auf der Bahn ist es so unsicher, dass ordnungsgemäß aufgegeben und im Packwagen mitgeführte Fahrräder auf der Endstation nicht mehr vorhanden sind. So wurde mein Schwiegersohn sein kaum gebrauchter Fahrrad unterwegs aus dem Bahnwagen entwendet. Er ist in dieser Beziehung aber auch nicht der einzige Leidtragende in unserer Gemeinde. Einer ganzen Anzahl aus unserer Gemeinde wurde das Fahrrad in Esens gestohlen, besonders dann, wenn es nicht angeschlossen in Esens vor de Geschäften stand, während man im Laden einkaufte.

So wurde 1945 nachts bei dem Landwirt Frerich Eilts ein Einbruch verübt. Die in heller Angst zu Bett liegenden Hausbewohner wurden in Schach gehalten und alles Eingeschlachtete und sonstige Waren und Sachen, die nicht gerade niet- und nagelfest waren, ließen die verkleideten Räuber mit angeschwärzten Gesichtern mitgehen, ohne erkannt oder gefasst zu werden.

 

Zeitraum: 1947 – Lehrer Becker wurde wieder in sein Amt eingesetzt.

Am 1. Februar 1947 wurde ich endlich wieder in mein Amt eingesetzt. Holtgast hatte seinen alten Lehrer Becker wieder. Herr Bliesener wurde nun endgültig in den wohlverdienten Ruhestand versetzt und kehrte daraufhin  nach Berlin zurück. Die Gemeindebehörde versuchte in die freigewordenen Zimmer neue Flüchtlinge zu legen. Die Regierung verhinderte jedoch dieses Vorhaben auf Veranlassung des Lehrers, da die Lehrerwohnung bereits stark genug belegt war.  

 

Zeitraum: 1948 – Es musste für weitere Flüchtlinge Platz geschaffen werden.

Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten. Während ich dies schreibe – es ist im Juli 1948 -, sind in der Gemeinde schon allerlei Baracken aufgebaut. Die so genannten Nissenhütten wurden mit Steinmauern ausgebaut oder verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Dafür kaufte die Gemeinde eine Holzbaracke aus dem Ungar- und Jugoslawenlager hinter Esens und stellte sie hier sehr zum Leidwesen des Lehrers – auf dem Lehrerdienstland hinter der Schule auf. Hätte sich für diese Baracke nicht anderswo in der gemeinde eine bessere Stelle gefunden? Auf die schriftlich eingereichte Protestnote des Lehrers hat der Gemeindeausschuss nicht wieder geantwortet. Die Regierung in Aurich gab dagegen eine Verfügung betr. Schullands heraus, die im Amtlichen  Schulblatt Nr. t 40. Jahrgang veröffentlicht wurde. Darin ist u. a. die Erwartung ausgesprochen , dass künftig Fälle, die zum Nachteil des Stelleninhabers und damit der Schulverwaltung über Schulland in dieser weise verfügt wird, nicht mehr vorkommen. Nun steht die Baracke mitten im Roggenfeld des Pächters Jacobs, ohne das irgendwelche Rücksicht auf wirtschaftlichen Schaden genommen wurde. Kampf dem Verderb? – Die Baracke soll 8 Haushalte aufnehmen, darunter 4 Einzelpersonen in je einem Raum. Sie hat der Gemeinde viel Geld gekostet. Allein schon die vielen Nachtwachen, die monatelang nötig waren zur Bewachung des Holzes vor Diebstahl, haben eine Menge Geld verschlungen, aber das konnte noch alles in Reichsmark gezahlt werden. Monatelang zog sich der Aufbau der Baracke hin, monatelang lagen dien einzelnen Teile für die Diebe griffbereit auf dem Sportplatz der schule. Erst Ende Juli 1948 war sie soweit hergerichtet, dass einige Familien einziehen konnten.  

 

Zeitraum: 1948 – Die Währungsreform und die Zeit danach.

Inzwischen war am 20. Juni die solang angekündigte, aber kaum ernstlich geglaubte Währungsreform gekommen. Sie machte uns mit einem Schlage so arm wie je zuvor. Unser „Scheingeld“ wurde im Verhältnis 10: 1 abgewertet. Besonders hart und ungerecht empfunden traf dies allgemeine Abwertung die alten Sparer, die sich ein Lebenlang mühselig sich die Groschen vom Munde absparten und auf die Sparkasse brachten, um im Alter einen kleinen Notgroschen zu haben oder sich ein kleines Ruhehäuschen zu kaufen. Auch die Lebensversicherungen sind wieder so arg betroffen, auch hier wieder am härtesten die langjährigen Versicherten, die bald ein kleines Kapital ausgezahlt erhalten hätten. Wer von ihnen hat nun noch wohl Zutrauen zu den Geldinstituten? Dass alles wieder über einen Kamm geschoren wurde , ruft bei den redlichsten und ehrlichsten und treuesten Menschen eine große Verbitterung hervor, besonders auch deshalb, weil vorher immer verkündet wurde, dass recht unterschiedlich verfahren werden sollte zwischen Schwarzhändlern, Schiebern und Neureichen einerseits und den redlichen Sparern andererseits. Nun fangen wir Älteren zum zweiten Mal ganz von vorne an und sind doch glücklich, dass im Augenblick es für wenig Geld wieder was zu kaufen gibt und das man nicht mehr kniefällig alles zu erbetteln braucht. Auf einmal sind über Nacht auch genug Waren da. Sie müssen überall gehortet gewesen sein. Und gute waren sind zu haben! Wo waren sie bloß vorher? Da gab es nur Schund, Tand und nichtsnutzige Dinge, Trödlerkram. Die angesehendsten Manufakturwarengeschäfte, alteingesessene Firmen hatten kein Zeug zu verkaufen, aber wohl Aschenbecher, Fingerringe, Armbänder, Halsketten usw. wie sonst der billige Jakob auf dem Rummel der Märkte sie anbot. Die Preise waren für unsere Verhältnisse nur gepfeffert hoch, denn unser Einkommen in Reichsmark war mit den Schwarzmarktpreisen um keinen Pfennig gestiegen. Wir konnten die letzten Jahre mit einem Monatsgehalt kaum ein Pfund Butter oder einen Zentner Futterkorn kaufen. Alle Sachen, außer den notwendigsten Lebensmitteln eines Normalverbrauchers waren für uns unerschwinglich. Wir denken wahrhaftig an diese traurige Zeit nicht gerne zurück und trotzdem bangt uns vor der Zukunft. Das Vertrauen ist futsch, wir wurden zu oft enttäuscht. Unsere redliche arbeit ist bislang geradezu bestraft worden.

„Wann wird der Retter kommen diesem Lande?“

Der Gegensatz zwischen Ost- und Westmächten wird von Tag zu Tag größer. Wir durchleben mal wieder eine Zeit äußerster Spannung. Nur schade, dass die deutschen stets den Rücken dafür herhalten müssen, den kalten Krieg auszufechten. Im Augenblick sind es besonders die Berliner, die dort lebenden unschuldigen Kinder, Mütter, Greise und Kranke, die 2 ½ Millionen Menschen der 3 westlichen Sektoren der Stadt die von den Russen blockiert, von den Russen blockiert, - von den Westmächten auf dem Luftwege mit Lebensmitteln versorgt werden müssen. Wie lange kann es so weitergehen.

Nach der Währungsreform, die allerdings große Geldknappheit zur Folge hatte, mögen nun doch wohl bald wieder genügend Schulbücher, Schreibhefte usw. zu haben sein, damit endlich wieder geordneter Unterricht erteilt werden kann. Ostern 1948 hatte die schule 100 Kinder, 1947 war die Zahl einmal 108 gestiegen. Da natürlich längst nicht alle in einen Schulraum hineingehen, wird für das 1. und 2.  Schuljahr nachmittags von 13 bis 15 Uhr unterrichtet. Es ist eine mühselige arbeit für den Lehrer, da auch die bescheidensten Lehr und Lernmittel noch immer fehlen. Die Wiedereinrichtung einer 2. Lehrerstelle ist angeregt. Aber kann die Gemeinde sich ausgerechnet heute das leisten, was jahrelang versäumt wurde, nun da sie keinen Pfennig mehr in der Kasse hat? Alles Geld öffentlicher Kassen ist ja mit der Währungsreform für null und nichtig erklärt. Die Entscheidung für ein „Für oder Wider“ liegt heute bei der Gemeindebehörde, die Regierung verfügt nicht mehr ohne weiteres über die eine Neueinrichtung einer Schulstelle.  

 

Zeitraum: ab 1949 – Holtgaster Schulgeschichte der Nachkriegszeit.

1949 beschloss der Gemeinderat die Wiedereinrichtung einer 2. Lehrerstelle. Sie wurde am 1. Dez. 1949 mit dem Schulamtsbewerber Schmidt, einem gebürtigen Schlesier besetzt. Am 10.1.1950 nahm Herr Schmidt den Unterricht auf. Am 22.8.1952 bestand er seine 2. Lehrerprüfung. Er bewarb sich bald um eine erledigte Mittelschullehrerstelle in Esens, die ihm dann am 1.4.54 auch übertragen wurde. Seine Nachfolgerin in Holtgast wurde Frau Herta Riemke geb. Reinhardt, aus Altenburg in Thüringen gebürtig, seit 1947 aber schon in Esens wohnhaft, ohne beruflich tätig gewesen zu sein.

Zu weihnachten 1952 erhielt unsere Schulklasse neues Gestühl, 27 Tische und 54 Stühle, dazu noch 1 Schreibtisch und einen Stuhl für den Lehrer. Lieferfirma war Fa. Janssen & Sohn in Esens / Butterstraße. Der Preis war etwa 2500 Dm. Der Kreis zahlte einen erheblichen Zuschuss. Immer warten wir bislang noch auf den Anbau eines 2. Klassenzimmers. Überall im Kreise, auch in der nächsten Nachbarschaft von Holtgast, werden neue kostspielige moderne Schulen gebaut. Wir Holtgaster stehen scheinbar bescheiden zurück und warten der Dinge, die da noch kommen sollen. Aber die günstige Zeit scheint im Augenblick verpasst zu sein, denn bei künftigen Neubauten fallen die beträchtlichen staatlichen Unterstützungen fort, seit dem das Niedersächsische Schulunterhaltungsgesetz in Kraft getreten ist. Dafür spart unsere Gemeinde auf Grund des neuen Schulgesetzes, wonach der Staat alle persönlichen Schullasten trägt, eine große Summe jährlich ein. Hoffentlich kommt sie unserer Schule nun auch zugute! – Denn die Schule hat in den letzten Jahren viel hergeben müssen für schulfremde Zwecke.

Das Dienstland wurde der Nutzung durch den Lehrer zum allergrößten Teil entzogen und den „Flüchtlingen“ zur Verfügung gestellt. Ein Teil wurde gänzlich abgetrennt, um darauf 6 neue Häuser für 12 Familien zu errichten. So ist das idyllische allein stehende Schulhaus jetzt nicht mehr der sorgsam gehütete Ruhepol der Gemeinde abseits des Hasten und Treibens auf einer Strasse mit ihrem Verkehr, sondern der Schulweg der Schulweg zur Straße der ja nur wenig breiter als ein gewöhnlicher Fußweg ist, wird von vielen Kraftfahrern täglich befahren. Dieser Kraftfahrverkehr ist umso größer geworden, seitdem dieser Weg eine Schlackendecke bekam und zu den Siedlungshäusern Straßen angelegt wurden. So sehr wir uns freuen, dass die Schulkinder endlich trockenen Fußes zur Straße kommen können, so unterschätzen wir auch nicht die vermehrten Gefahren, denen unsere Lieblinge auf diesem 200 m langen Wege ausgesetzt sind.  

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