Die Holtgaster Heimat-Geschichte |
Durch die
Inflation wurde auch keine Gedenkstätte für die Gefallenen des 1.
Weltkrieges gebaut. Der Inflation waren auch die für ein Heldendenkmal
gesammelten Gelder zum Opfer gefallen. Ein Architekt aus Jever war
mehrfach mit Entwürfen an der Schule hier. Aber die gesammelten Gelder
reichten zur Ausführung der Entwürfe nicht aus. Somit wurde das Geld
dem Denkmalsfond in Esens überwiesen. Dort hat die Kirchengemeinde
ihren Gefallenen ein Heldengedenkbuch gewidmet, dass alljährlich am
Heldengedenktage jedermann zur Einsicht vor dem Altar ausgelegt wird.
Fernerhin hat Esens ein Heldendenkmal vor dem Amtsgericht errichten
lassen. Holtgast hat bis auf den heutigen Tag weder ein eigenes
Denkmal noch einen dem Heldengedenken geweihten Platz. Jedem Veteranen
von 1870 / 71 wurde auf dem neuen Schulhof eine Eiche gepflanzt. Heute
steht davon noch eine. Den Gefallenen von 1914 bis 18 mag eine spätere
Zeit hoffentlich einmal ein sichtbares Erinnerungsmal errichten. Das Ortsbild im neuen Jahrhundert Quelle: Becker´sche Chronik Holtgast entwickelte sich prächtig. Div. Baumaßnahmen veränderten das Ortsbild. In gemeinschaftlicher Arbeit
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Denn unser Streben geht dahin, ein recht schönes Dorfbild zu bekommen. Die
Bewohner tun zum allergrößten Teil ihr bestes, zu ihrem Teil zur
Verschönerung mitzuhelfen. Viele finden ihren besonderen Stolz darin,
schöne Zier- und Blumengärten an der Straßen- oder Wegseite
anzulegen. Der Obst- und Gemüsegarten,
von wohl gepflegten Büschen oder Ligusterhecken umgeben, darf nicht fehlen. Prachtvoll blühende Topfblumen schmücken die blank
geputzten Fenster. Kinder wetteifern schon mit den Erwachsenen, die
Gartenwege und die Wege ums Haus vom Unkraut zu reinigen und zum Sonntag
zu harken. Die Fußwege haben in den letzten Jahren eine merkliche
Verbesserung erfahren. In dorfgemeinschaftlicher Arbeit, wobei die
Bauern die Spanndienste tun, werden wenigstens zweimal im Jahr die Wege
instand gesetzt. Wegeschilder machen darauf aufmerksam, dass das Fahren
und Reiten auf den Fußwegen streng untersagt ist. Viel mühevolle Arbeit verursacht immer die Reinigung der
Wassergräben. Sie ist aber unbedingt erforderlich, um die Wege und Ländereien
zu entwässern. Seitdem der freiwillige Arbeitsdienst das Klampertief
hinter Fulkum gründlich in Ordnung gebracht und verbreitert hat, steht
die niedrige Mulde zwischen Barkholt und Holtgast viel seltener unter
Wasser. Durch zielbewusste großzügige Entwässerung müsste es noch
einmal gelingen, auch das Holtgaster Moor- und Sumpfland hinter dem
Walde besser trocken zu legen, damit es mehr als bisher der Ernährung
unseres Volkes dienstbar gemacht werden könnte. Wie landhungrig
unsere Holtgaster noch immer sind, wie gerne sie also noch immer mehr
leisten und arbeiten möchten, zeigt sich .... bei Verpachtungen. Ein
großer Teil des Schafhauser Waldes diesseits des Kanals ist vor einigen
Jahren ausgerodet und zum Ackerbau freigegeben worden. Viele Holtgaster,
s. g. „lüttje Lüe“ haben nun dort ihre Getreide- oder Kartoffeläcker.
Viel Schweiß hat das Ausroden der Baumstämme gekostet, verhältnismäßig
karg lohnt der Boden die saure Mühe, aber unentwegter Fleiß zwingt ihn
doch mit der Zeit mehr zu spenden als ihm zugeführt wird. Man muß den Leuten einmal bei ihrer schweren Landarbeit
einmal in die Augen geschaut und mit ihnen gesprochen haben, man muß
ihnen die schwieligen Hände gedrückt haben, mit welcher Freude und
welchem Eifer sie diese Arbeit verrichten, wie sie am Boden hängen und
mit ihrem Boden aufs innigste und tiefste verwurzelt sind.
Viele Ländereien sind von hohen Erdwällen umgeben. Leider
stehen diese nur zu häufig kahl da. Es erhöht jedenfalls den Reiz der
Landschaft, wenn die Wälle mit hohen Bäumen und Gesträuch bewachsen
sind, wie wir es auf der Geest in Innern Ostfrieslands mehr vorfinden.
Solche Wälle bieten den Weidetieren nicht nur Schutz gegen Wind und
Wetter und den Vögeln beste Wohngelegenheit, sondern erfreuen auch das
Auge des naturliebenden Menschen. Unser deutsches Vaterland und unsere
engere Heimat sind so schön, so wunderschön, wenn wir es nur erkennen
wollen.
Zeitraum: nach 1914/18 -
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Zeitraum: unbekannt - Urnenfund
auf dem Hof Goldenstein Johann H. Goldenstein hat beim Bau seines Backhauses eine
Urne gefunden. Sie ist aus Ton,- leider beschädigt, - und enthält
Aschereste. Holtgast hat also gewiss an der Stelle einen Urnenfriedhof
gehabt, Handschriftlich wurde später noch hinzugefügt: Diese Urne ist
jetzt im Provinzial Museum in Hannover, wie mir Dr. Marschallek 1954 erzählte:
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Zeitraum: 1936 - Holtgast
ein Dorf der alten Leute? Es ist keine
Seltenheit, dass Mitbewohner 90 Jahre und mehr alt werden. Obwohl der
Tod in den letzten Jahren mächtig unter den alten Leuten aufgeräumt
hat. Leben doch noch 25 Greise und Greisinnen, die über 70 Jahre alt
sind. Es folgt eine Auflistung von Ehepaaren, die ihre „Goldene
Hochzeit“ feierten, auf die ich aber bis auf Mense Feith nicht näher
eingehe. Mense Feith war Kriegsteilnehmer 1870/71 und lange Jahre
Gemeindevorsteher. Erst im Jahre 1917 als das Amt immer höhere Ansprüche
an den Träger stellte legte er die Bürde nieder. Rudolf Fischer, der
heute 86 Lenze zählt, wurde für wenige Jahre sein Nachfolger. In dem
Inflationsjahr 1923 leitete dann Gerke Sjuts Gerken die
Gemeindegeschicke. Erfand seinen Nachfolger in Diedrich Taddigs, der bis
1933 Gemeindevorsteher blieb. Seitdem leitet nun der Bürgermeister
Theodor Gerdes die Geschicke unserer Gemeinde.
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Zeitraum: um 1936 – Die
Kriegsgräberfürsorge. Die Kriegsgräberfürsorge hat es sich zur Aufgabe gemacht,
die Heldenfriedhöfe würdig instand zu setzen. Auch unsere
Schulkinder sind der Kriegsgräberfürsorge beigetreten und tragen ein
wenig dazu bei, den toten Helden ihren Dank abzustatten. Aus diesen
kleinen Auszügen mag man erkennen, wie wir in unserer Jugend deutsches
Charaktergut zu pflegen uns bemühen. Es ist eine Herzenslust und –freude,
unsere heranwachsende Jugend heute zu beobachten. Anmerkung: In den
nachfolgenden Zeilen, wobei auch noch eine Seite abgetrennt wurde,
beschreibt der Verfasser die Begeisterung der Jugendlichen für Adolf
Hitler und bezieht sich dabei auch auf die Jugendorganisationen des NS-
Regimes. Anschließend
beweist Becker seine plattdeutschen Sprachkenntnisse, indem er ein alltägliches,
jedoch belangloses Gespräch wiedergibt.
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Zeitraum: 1939 – Beginn
des 2. Weltkrieges. Zum Heeresdienst wurden bis Ende des Jahres 1939 eingezogen:
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Zeitraum: 1939 – Das
erste Kriegsjahr brachte einen eisigen Winter. Ein ungewöhnlich kalter Winter ist dieser erste
Kriegswinter. Die ältesten Leute können sich kaum entsinnen, solch
starken Frost und anhaltende Kälte mit starkem Schneefall kennen
gelernt zu haben. Auch 1929 hatten wir furchtbare Kälte. Sie hielt
jedoch nicht solange an und außerdem waren die Transportschwierigkeiten
nicht so groß, wie wir sie infolge des Krieges augenblicklich haben.
Unsere Regierung tut alles, um auch den letzten Volksgenossen mit
Brennmaterial zu versorgen. Infolge der Schneewehen ist jedoch eine
Verkehrsstockung nicht zu vermeiden. Manchmal sitzen wohl 3 Eisenbahnzüge
hintereinander fest. Es dauert dann stundenlang bis die vereisten
Lokomotiven wieder frei sind. Der Autoverkehr ruht fast gänzlich. Nur
die Militärwagen sind noch auf der Straße zu finden. Die Pumpen sind
eingefroren und Wassermangel macht sich bereits bemerkbar. Aber auch
wenn wir jetzt schon Ende Februar haben, so bleibt uns doch die
hoffnungsvolle Gewissheit: „Es wird doch Frühling werden!“ Nach
einem Hinweis auf Jubilare die ein Ehejubiläum feiern konnten, geht es
weiter. Die Schule ist seit dem 15. Januar wegen Kohlenknappheit
geschlossen. Bei den teils recht weiten Schulwegen und den
Schneeverwehungen, wie wir sie hiererorts nicht kennen, wäre ein
ordnungsgemäßer Schulbesuch auch kaum durchführbar. Seit
Kriegsausbruch hat der Lehrer auch den Schulunterricht in Utgast mit zu
übernehmen. Somit ist in Holtgast nur noch an jedem 2. Tag Unterricht. Um bei einem Fliegerangriff und Flackbeschuß etwas gegen
Granatsplitter geschützt zu sein, haben sich die Schulkinder auf
Anordnung des Landrats behelfsmäßig splttergeschützte Unterstände
gebaut. Diese genügen jedoch den Anforderungen in keiner Weise und
sollen nach Möglichkeit bald durch Strohbunker ersetzt werden.
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Zeitraum: 1941 – Ein
neues Kriegsjahr bricht an Am 30.1.41 starb nach 3-tägiger schwerer Krankheit der
Soldat Remmer Jakobs im Lazarett zu Lüneburg. Die Leiche wurde nach
Esens überführt, um dort mit auf dem Friedhof beigesetzt zu werden.
Die Garnison hatte 9 Kameraden abkommandiert, dem Verstorbenen das
letzte Geleit zu geben. Unsere Kriegerkameradschaft sah es als
selbstverständliche Pflicht an, unter dumpfen Trommelwirbel mit
umflorter Fahne dem Trauerzug voranzugehen. Aber auch die Feuerwehr und
die Arbeiterfront hatten starke Abordnungen geschickt, so dass ein großer
Trauerzug sich von der Leichenhalle des Krankenhauses durch die Stadt
nach dem Friedhof bewegte. Gleich nach dem Zusammenbruch Frankreichs sahen wir auch in
Holtgast die ersten gefangenen Franzosen. Der Saal des Ziegelhofes ist
als Lager hergerichtet und beherbergt etwa 50 Kriegsgefangene. Diese
stehen bei den Bauern der Gemeinden
Sterbur, Holtgast, Utgast und Fulkum in Arbeit und werden jeden
Morgen von einem Wachmann geschlossen an ihre Arbeitsstätte geführt
und nach Feierabend wieder abgeholt. Ein Übernachten auf den einzelnen
Bauernhöfen gibt es in diesem Krieg für Gefangene nicht. Im
Allgemeinen sind die Bauern mit den gefangenen, die durchweg
Nordfranzosen sind und aus der Landwirtschaft kommen, sehr zufrieden. Nun wurde eine Zeile unkenntlich gemacht. Es geht weiter mit: Weltkriegsteilnehmer Theodor Ennen und Frau Maria geb. Feith
haben alle 5 Söhne: Georg, Menno, Hinrich, Theodor und Siebelt, dazu
noch einen Schwiegersohn, im Felde stehen. Der jüngste Sohn Siebelt
meldete sich freiwillig, als er noch keine 17 Jahre alt war. Hinrich
diente als Wachmeister (Beschlagmeister) in Halberstadt, als der Krieg
ausbrach. Alle Söhne sind zurückgekehrt. Der Landwirt Focke Caspers und Frau Maria, geb. Brahms haben
3 Söhne, Johann, Frerich und Wilke, dazu 3 Schwiegersöhne unter den
Waffen stehen. Beide Mütter tragen das goldene Mutterehrenkreuz. Leider
sind Frerich und Wilke nicht
aus diesem Krieg zurückgehrt. Im Krieg wurden Mütter die 4 und 5 Kinder das bronzene-, mit
6 und 7 Kinder das silberne und mit 8 und mehr Kindern das goldene
Ehrenkreuz verliehen. Bis 1940 erhielten in Holtgast das goldene
Mutterkreuz: Maria Caspers, geb. Brahms; Maria Ennen, geb. Feith;
Elisabeth Meents, geb. Bohlsen; Johanna Rieken, geb. Ihnels; Antje
Claashsen, geb. Cassens; Theda Gerdes, geb. Harms; Trientje Jochenms,
geb. Schuster; Trientje Frerichs, geb. Claashen; Elisabeth Dinkla, geb.
Hinrichs; Anna Claashen, geb. Habben; und Johanna Liebermann, geb.
Willms. Das silberne Ehrenkreuz erhielten: Christine Tigges, geb. Martens; Antje Eilts, geb. Weers;
Wilhelmine Manott, geb. Gerken; Fentje ter Haar, geb. Janssen; Helene
Kruse, geb. Siebens; Trientje Goldenstein, geb. Habben; Wübke Jacobs,
geb, Janssen; Gretke Lübben, geb. Folkerts; Anna Arjans, geb Ihmels; Wübbine
Janssen, geb König; Johanna Ippers, geb. Agena; Wilhelmine Hinrichs,
geb Heeren; Isette Gerdes, geb. Caspers; Dina Janssen, geb. Schlüter
und Trientje Duis, geb. Osterkamp. Das bronzene Ehrenkreuz erhielten: Tomma Ihnen, geb. Weers; Anna Krey, geb. Feith; Friederike
Hanstein, geb. Hinrichs; Gretke Feldmann, geb. Janssen; Gretke Janssen,
geb. Vogt; Wilhelmine Saathoff, geb. Speckmann; Elsa Uphoff, geb. Gerdes;
Karline Steffens, geb. Bogena; Frieda Eilts, geb. Remmers; Hilde Eilts,
geb. Janssen; Margarete Janssen, geb. Gerdes; Trientje Meyer, geb.
Hinrichs; Gesche Eilts, geb. Deppermann; Dorette Wilts, geb. Edzards;
Theda Bootjer, geb. Peters: Trientje Doden, geb. Janssen; Tätje Brauer,
geb. Oldendörp; Folkea Habben, geb. Eilts und Tomma Bruns, geb. Harms. In feierlicher Form wurde den vorgenannten Müttern das
Ehrenkreuz durch die NSDAP überreicht. Die erste Feier war im
„Ziegelhof“, die zweite Überreichung fand in der „Haltestelle“
statt. Die Kraftwagenbesitzer hatten sich bereit erklärt, alle älteren
Mütter unentgeltlich aus ihrer Wohnung abzuholen und auch wieder zurückzubringen.
Bei einem „Köpke Tee“ und reich mit Blumen geschmückten Tischen,
auf den natürlich auch die Kuchen nicht fehlten, saß man noch lange im
Trauten Kreise beisammen und der BDM erfreute die Mütter mit
passenden Liedern und Vorträgen.
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Nun
fehlen wieder viele Zeilen. Zeitraum: 1946 und davor – Die nächsten Eintragungen Gebrochen an Leib und – Seele will ich versuchen, meine
angefangene Dorfchronik fortzusetzen. Die Geschehnisse der Jahre 1945
bis 46 haben uns derart betäubt, verängstigt, enttäuscht und zermürbt,
dass man es kaum wagt, etwas zu sagen, geschweige denn zu schreiben.
Noch sieht man nicht klar, wie sich die Zukunft auch für unsere
Dorfgemeinde gestalten wird. Spitzel sind mehr denn je an der Arbeit,
Mitmenschen zu verdächtigen, anzuschwärzen und zu verraten. Der Judas
Ischarioth hat sein bestes Betätigungsfeld gefunden und nützt die günstige
Gelegenheit voll für sich aus. Meine Chronik habe ich bislang versteckt
gehalten. Sie wäre nicht erhalten geblieben, falls man sie gefunden hätte. Danach
fehlen wieder einige Zeilen.
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Zeitraum: 1945 – Zusammenbruch
des „Dritten Reiches“ Als am 7.5.1945 das Deutsche Reich zusammenbrach, stand der
Feind schon vor den Toren
Aurichs. Der Geschützdonner war hier gut zu hören. Der Volkssturm
hatte die Feinde unmöglich aufhalten können, hatte er doch weder
Waffen noch andere Ausrüstung! Wochenlang
wurden von ihm Panzersperren gebaut, ganze Waldreviere wurden abgeholzt,
dringend notwendige landwirtschaftliche Arbeiten blieben liegen – dafür
wurde geschanzt auf Befehl von oben! Wohl nicht einer von uns hat den
Wert dieser Maßnahmen begriffen. Wir machten uns lustig über die für
uns so saure Arbeit, die in unseren Augen nur Kinderei war im Angesicht
der überwältigenden Materialfülle unserer Feinde. Holtgast hatte nur eine Panzersperre vor dem Bahn- und Straßenübergang
über den Kanal beim Ziegelhof gebaut und zwar am 1. Ostersonntag 1945.
Allen Beteiligten wird der Tag unvergessen bleiben, wie wir im Regen mit
sämtlichen Fuhrwerken Straßen- und Häuserschutt herbeischaffen
mussten. Mir persönlich, der ich zum Führer des Volkssturmes ernannt
war, ist dieser Tag nun ein heiliger Gedenktag geworden, denn an diesem
Tage ist mein lieber, einziger Junge noch ein Opfer des unseligen
Krieges geworden. Die Nachricht haben wir erst Ende Mai 1946 erhalten. Neben der Brücke über den Kanal lagerten 2 große Bomben,
die zur gegebenen Zeit alles in die Luft sprengen sollten. Zu diesem
Befehl ist es nicht mehr gekommen.
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Zeitraum: 1944 bis 45 – Große
Kriegsschäden auch in Holtgast Die letzten Kriegsmonate hatten auch unseren Ort schwer in
Mitleidenschaft gezogen. Der 15. Oktober 1944 wird unvergesslich
bleiben, als am Sonntagabend Wilhelmshaven von vielen, vielen
Bombenflugzeugen in Trümmer und Asche gelegt wurde. Auch über Holtgast
wurden viele Sprengbomben und hunderte von Brandbomben
abgeworfen. Bald brannten allerlei Getreidehaufen dicht bei den Häusern,
z. B. bei Johann Frerichs, Hinrich Dresch, Jakob Jakobs und Rickelf
Hinrichs. Das Haus von Gerke Sj. Gerken stand in hellen Flammen und
brannte bis auf die Grundmauern nieder. Auch das Haus von Tjardes hatte
Feuer gefangen, die Scheune wurde ein Raub der Flammen, während das
Wohnhaus gerettet werden konnte. Überall flammten die abgeworfenen
Brandbomben auf, ein schönes Bild und Feuerwerk, wenn es nicht so
grausam gewesen wäre. Waren wohl alle Sprengbomben krepiert oder lagen irgendwo
noch lauernde Ungetüme mit Zeitzündern? Bei der Dunkelheit der Nacht
war nichts mehr festzustellen. Die Straße nach Schweindorf, wo 7
Bauernhäuser aufbrannten, war hinter Feldmanns Haus von Schuttmassen überlagert,
so dass sie nicht mehr befahrbar war. Am nächsten Morgen sah man erst, was am Abend in unendlich
langen Stunden von 7 bis 9 Uhr angerichtet worden war. Das Schulgebäude
in erster Linie, dann aber auch viele andere Häuser, waren abgedeckt,
die Fenster zersplittert, die Türen eingedrückt und die Mauern
geborsten. Bei der Schule waren allein 60 Fensterscheiben entzwei, das
Dach zeigte große Löcher, die Dachziegel waren ineinander geschoben.
Etwa 30 m hinter dem Hause war ein tiefer Trichter, in dem das ganze Gebäude
hätte hineingepackt werden können. Daneben ein verdächtiges kleineres
Erdloch, in dem wir mit Recht einen Blindgänger vermuteten. Nach
Absperrung und Räumung des Schulhauses von Menschen und Vieh wurde
dieser Blindgänger von einem militärischen Kommando erst am Mittwoch
ausgegraben und entschärft. Es war eine 250 kg – Bombe. Verhängnisvoller war eine Zeitzünderbombe bei dem Hause der
verstorbenen Gebrüder Jacobs, gepachtet von Johann Dirks. In der
dunklen Morgenfrühe, als die Bewohner noch zu Bett lagen, krepierte
diese Bombe und brachte das ganze Bauernhaus restlos zum Einsturz. Wie
durch ein Wunder ist kein Menschenleben dabei zu Schaden gekommen, während
die Tiere im Stall unter den Trümmern begraben wurden und umkamen. Auch
das Platzgebäude von Rudolf Harms ging noch eine Zeitzünderbombe hoch,
ohne erheblichen Schaden anzurichten. Die meisten Bomben waren im Reihenwurf – Richtung Schule
bis in den Loog hinein – abgeworfen worden. Eine Luftmine mit großem
Luftdruck war nicht allzu weit von Gerkens Haus niedergegangen und hatte
wohl großen Dach- und Fensterschaden angerichtet, aber bei all dem Unglück
war nicht ein Mensch verletzt worden. Die meisten Menschen waren ins
Freie geflüchtet und hatten sich platt in die Gräben gelegt. Die Schulhausbewohner hatten die schrecklichen Stunden im
Hausflur hinter dem Schornstein verbracht, zitternd und bebend an allen
Gliedern, besonders als die Türen aufsprangen, die Dachziegel herunter
prasselten, die Fenster zerklirrten und die Gardinen in Fetzen hin- und
herwehten, magisch beleuchtet von dem roten Schein der brennenden Häuser
und Getreidehaufen ringsumher. Und was machten nun die berufenen Organisationen für solche
Fälle? NLV, Feuerwehr? Sie waren bald zur Stelle kamen schon nach kürzester
Zeit von Esens und von Wittmund mit dem Kreisleiter an der Spitze um zu
helfen in erster Linie durch Speise und Trank! Die Schulkinder ließen
es sich nicht nehmen den Bombentrichter hinter dem Schulhaus möglichst
schnell wieder einzuebnen. „Nu erst recht!“ war ihre ständige
Redensart, „wi laten uns nicht unnerkriegen, du Tommy!“ Der hat uns mit seinen Tieffliegern aber doch oft genug aus
dem Schulzimmer vertrieben und nach Haus geschickt. Es war nicht mehr
schön und kaum zu verantworten, noch so viele Kinder an einer Stelle zu
versammeln. Hatten wir doch das furchtbare Ereignis in Esens, wo über
100 Schulkinder den Tod gefunden hatten, noch in lebhafter Erinnerung!
So war wohl zu verstehen, wenn besonders angstvolle Mütter schon bei
der geringsten Luftwarnung mit Herzklopfen an die Schultür pochten, um
ihre Kinder nach Hause zu holen. Zuletzt wurden gottlob alle Schulen
geschlossen. Es war ein geordneter Unterricht nicht mehr möglich. Besonders wurden
aber die Züge angegriffen. Sie fuhren schließlich nur noch ganz selten
und dazu auch nur während der Nacht. Ein Munitionszug wurde bei den
„Schanzen“, wo der Weg nach Mimstede abbiegt, getroffen. Wohl gelang
es dem Zugpersonal eine Reihe von Wagen abzukoppeln und aus dem
Gefahrenbereich zu bringen, aber die Wirkung war auch so katastrophal
und mehrere Mitfahrer kamen ums Leben. Noch zweimal erlebten wir einen
Fliegerangriff. Leider
fehlen nun wieder etliche Seiten, die Aufschluss auf die Endphase des 2.
Weltkrieges bei uns in Holtgast hätten geben können.
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Zeitraum: nach 1945 –
Die Nachkriegszeit Nach
Beendigung des Krieges begann man damit alle Leute aus ihren Ämtern zu
entlassen, die mit den Nazis in Verbindung gebracht wurden. Zu diesem
Personkreis gehörte auch der Lehrer Johann Becker aus Holtgast .... Er
schreibt dazu:
Das erste Opfer wurde ich. Am 26. Juli erhielt ich den Bescheid, dass
ich auf Anordnung der Militärregierung aus dem Volksschuldienst
entlassen sei. Meine Berufung wurde abgeschlagen. Da setzte sich die
Gemeinde restlos für meine Wiedereinstellung ein. 97% aller
Nichtparteigenossen hatten eine Eingabe unterschrieben; der Herr
Superintendent Schomerus in Esens trat für mich ein; Ortsbauernführer,
Schulsachbearbeiter und Kirchenvorsteher wurden persönlich bei der
Militärregierung vorstellig, ich selber erkundigte mich dort über die
Beweggründe meiner Entlassung, reichte dann noch einmal ein Gesuch ein,
aber bis zum heutigen Tage ist kein entsprechender Entscheid gekommen.
Nunmehr soll der „Kreisentnazifizierungsausschuss“ die Angelegenheit
zunächst prüfen, daraufhin wird dann doch wohl bald ein endgültiger
Bescheid der Militärregierung erfolgen. Jedenfalls liegen alle
Dokumente mit 2 neuen großen Fragebogen (138 Fragen!) jetzt bei dem
Kreisentnazifizierungsausschuss in Wittmund. Mit mir wurden unendlich
viele Kollegen entlassen, alle, die irgendein Amt verwaltet hatten. Wie
unterschiedlich trotzdem verfahren wurde, spottet jeglicher
Beschreibung. Wer nachweisen konnte, dass er eine Differenz – meistens
war es eine rein persönliche Sache oder Beleidigung – mit den
Machthabern der verflossenen Jahre hatte oder einer Partei angehörte,
die jetzt mit am Ruder ist, der ist obenauf und kann auch als
Schulmeister im Amt bleiben. Wer stets versucht hat, seinen Beamteneid
getreu, nicht nur gewissenhaft seine Pflicht im Schuldienst, sondern
auch im ehrenamtlichen, vaterländischen Dienst zu erfüllen, der wird
heute bestraft und existenzlos gemacht. Wo findet man da einen Ausweg?
Ersatz für die fehlenden Lehrer bilden in erster Linie Flüchtlinge aus
dem Osten, deren Papiere verloren gegangen sein sollen und die zum gr0ßen
Teil nichts gewesen sind. Nicht einmal Pg. In Holtgast unterrichtet ein 71 Jahre alter Flüchtlingslehrer
aus Berlin .......... Es
fehlen wieder viele Seiten ...... Es
geht weiter mit der Trauerveranstaltung für den Sohn von Johann Becker : .............. Mehrere Häuser waren mit 3 und 4 Personen
gekommen. Ihnen allen sei auch an dieser Stelle von Herzen gedankt für
ihre rührende Anteilnahme an unserem tiefen Schmerz! Vor dem
ausgelegten Heldenbuch am Altar lag ein großer Kranz mit einer Widmung
der allernächsten Angehörigen. Der ergreifenden Trauerrede des
Superintendenten Schomerus lag der gleiche Text zu Grunde, den Pastor
Gramlich unseren toten Jungen mit ins Grab gegeben hatte. Nicht nur das
wir die nächsten Leidtragenden aufs Tiefste erschüttert und
beeindruckt die Kirche verließen, nein, alle Anwesenden waren tief gerührt
und ein bekannter Kaufmann aus Esens, der teilgenommen hatte am sonntäglichen
Gottesdienst mit der anschließenden Gedächtnisfeier, schrieb uns
impulsiv noch nachmittags einen herzlichen Brief, obwohl er schon einmal
seine herzliche Teilnahme schriftlich bezeugt hatte. Ja es gibt mitfühlende Menschen, die auch heute noch fürs
Vaterland gebrachte Heldenopfer dankbar anerkennen und zu würdigen
wissen. Möge das gesamte deutsche Volk doch diese Toten niemals
vergessen und versuchen an den Witwen und Waisen einen kleinen Teil der
Dankesschuld abzutragen. Doch wie sieht´s heute mit der
Kriegsversorgung aus? Das verarmte Volk ohne Brot und Existenz, ohne
Einkommen hat kein Geld mehr. Die Versorgungsämter sind aufgelöst. Die
Rentenzahlung ist der sozialen Fürsorge überlassen. Sie streicht, wo
sie nur streichen kann! Wo soll sie auch das Geld hernehmen? Ein Wort
verrät uns die trostlose Wirklichkeit: Flüchtlingselend!
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Zeitraum: nach 1945 – Das
Flüchtlingsproblem Holtgast mit seinen reichlich 400 Einwohnern beherbergt 170
Flüchtlinge. Die ersten Evakuierten, vor allem aus Stettin,
Stolzenhagen, Pölitz, und Kolberg haben noch liebevolle Aufnahmen in
den Wohnhäusern gefunden, wenn die Raumverhältnisse auch noch so knapp
wurden. Aber die späteren Vertriebenen aus Schlesien fanden keinen
Platz mehr und hausen im Augenblick noch in den Nissenbaracken, die die
Militärregierung für die zur Entlassung kommenden deutschen Soldaten
aufstellen ließ. Im Sommer ist diese Unterkunft wohl erträglich, was
aber soll damit im kalten Winter werden? Die Gemeindeverwaltung hat es
nicht leicht, wenn diese bedauernswerten Menschern nicht hungern und
frieren sollen. Bei allem Entgegenkommen der meisten Gemeindeglieder
sieht man auch viel Unstimmigkeit, Hader, Ungerechtigkeit, Selbstsucht,
Zwietracht, Neid und Missgunst. Als im vorigen Jahr die Baracken
aufgestellt wurden, da wollte jeder sie gerne auf seiner Hofstelle bei
seinem Haus stehen haben. Sie würden ja, wie man versicherte, einmal
den betreffenden Bauern als Eigentum überlassen werden. Ideale Geräteschuppen!
Nun ist es anders gekommen. Auf einmal will man sie los sein, denn die
Bewohner könnten lästig werden. Man reißt sie ab und baut sie auf dem
Gemeindeweg vor Gerhard Adens Haus wieder auf. So geschehen im Sommer
1946, als viele Flüchtlinge fast buchstäblich auf der Straße saßen.
Nur die Baracken hinter der Schule und bei der Klostermühle sind dort
stehen geblieben. Die Flüchtlinge haben fast alle ein Stückchen Gartenland
erhalten und bauen sich mit mehr oder weniger Geschick ihr Gemüse
selber an. Die rührigsten Leute haben auch lägst dauernde Arbeit
gefunden. Viele Nichtstuer geben aber auch
zu lebhaften Klagen berechtigte Veranlassung. Sie liegen der
Gemeindewohlfahrt zur Last, ohne dass es unbedingt erforderlich wäre.
Da ist noch vieles zu bereinigen Bei dem Hungerleben, bei der traurigen
Bekleidung will man die geringe Arbeitsenergie nicht ganz verbrauchen.
Hier liegt eine Hauptwurzel alles Übels, wenn auch die unsicheren
Geldverhältnisse stark mit
sprechen. Ja wie sieht es mit dem Gelde aus? Kommt eine Inflation oder
eine Geldentwertung? Wir tasten im Dunkeln, vermuten alles und wissen
nichts. Mir persönlich ist alles ersparte Vermögen ohnehin gesperrt
und nur 250 RM kann ich monatlich abheben. Aber wie leben die anderen?
Noch hat der Bauer Geld aber es wird weniger. Die Milchpreise sind hier
bei der Molkerei stark gesunken. Butter und Magermilch gibt es wenig zurück.
Ist es da zu verwundern, wenn viele zur Selbsthilfe greifen und selber
heimlich buttern, wenn es auch verboten ist? Man hat im Sommer viele zusätzliche
Arbeitskräfte nötig, sie müssen alle beköstigt werden, geben aber
natürlich ihre paar Fett- und Brotmarken nicht ab. Was soll der Bauer
machen? Er muss Essen geben und daher nehmen wo er´s findet. Im Stall
in der Scheune, auf den Feldern!
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Zeitraum: nach 1945 –
Der Schwarzmarkt blüht. Ja, ja, wo bleibt die Moral? Alle Moral ist umgewertet. Wer
ist ein Held? Wer auf dem schwarzen Markt mit allen Schikanen zu kaufen
versteht, ohne von der Polizei gepackt zu werden! Wer zu wuchern oder zu
hamstern weiß, ohne wiederum mit der Polizei in Konflikt zu kommen! Wer
zu schieben und zu bestechen versteht! Gebrauchen können alle alles,
was nur angeboten wird, denn wir sind alle abgebrannt bis aufs Hemd und
bis zum Hosenknopf und zum Streichholz hin. Am allermeisten tut aber der
Hunger weh und für ein Stückchen Brot oder eine Kartoffel opfert man
schon ein Vermögen und den letzten Groschen. Gerade überschwemmt wird Ostfriesland und auch Holtgast, von
den armen Hungernden aus dem Ruhrgebiet. Sie bieten alles: Mützen, Hüte,
Kleider Schuh, Betten, Sammeltassen, Nägel, Feuerzeug, Feuerstein,
Benzin, Petroleum, Säcke und was weiß ich! Aber nur im Tausch gegen
Speck, Butter und Eiern! Wo soll das hinführen? Der Bauer kann überhaupt
auch von Geschäftsleuten und Handwerkern nur etwas kriegen, wenn er
Getreide oder vor allem Fettigkeiten mitbringt. Was sollen wir sagen,
die wir nichts zu bieten haben als unsere Geldscheine, die keiner haben
will! Das Volk hungert und geht zu Grunde, wie es die Absicht der Feinde
war und ist. Hinter Esens
ist ein Lager mit vielen Ungarnern. Sie sind zu einer wahren Landplage
geworden. Versorgt von der „Unrrä“ bieten sie vor allem Tee an und
der ostfriesische Teetrinker zahlt ihnen dafür an Speck und Eier, was
sie nur wünschen. In letzter Zeit nehmen sie auch Geld, 150 RM für ¼
Pfund Tee! Man spricht aber auch davon, dass auf dem schwarzen Markt für
1 Pfund Butter 250 bis 300 RM gezahlt würden. Ich führe die Preise an,
damit die Nachwelt die ungesunde Geldwirtschaft erkennt. Der
Arbeiterstundenlohn beträgt keine 70 Pfennig, die Steuern sind so hoch
wie nirgendwo in der Welt. Aber das allerschlimmste – wer hat Arbeit?
Ich persönlich helfe hin und wieder einem Bauern bei der Ernte oder
bearbeite meinen Torf auf dem fernen Hochmoor bei Blomberg oder säge
Holz. Der letzte Winter hat uns frieren lassen, da wollen und müssen
wir vorsorgen, dass wir uns für den kommenden Winter mit Brennmaterial
eindecken. Hausbrandkohle wird es nicht geben und der Förster darf auch
kein Holz verkaufen.
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Zeitraum: nach 1945 – Hunger
und Kälte führen zu kriminellen Handlungen und zur Anarchie. Folglich stehlen viele Leute wo sie nur was finden! Den Torf
vom Moor, die Bäume aus dem Wald, die Kartoffeln aus den Äckern, die
Ähren von den reifenden Getreidefeldern, die Tabakblätter von den grünen
Pflanzen, die Tiere von der Weide und die Schweine aus den Ställen! Die
Diebstähle nehmen überhand! Räuberbanden, mit Pistolen bewaffnet,
machen die Gegend unsicher. Sie haben schon allerhand Menschenleben auf
dem Gewissen. Erst vor einigen Tagen verhaftete unsere Polizei auf der
Haltestelle 3 junge Leute, die ihr Unwesen längere Zeit hier getrieben
hatten und Waffen bei sich führten. Das hin und wieder die Milchkühe
auch schon ausgemolken sind wenn der Besitzer am Morgen auf dem Felde
erscheint ist schon keine Seltenheit mehr. Das Ausgehverbot während der
nächtlichen Sperrzeit muss doch von vielen beachtet werden.
Fensterscheiben werden ausgelöst oder eingeschlagen, um während der
Nacht einzubrechen und Rundfunkgeräte und besonders Fahrräder mitgehen
zu lassen. Die Bewohner, aus dem Schlaf erwacht, werden mit
Mordinstrumenten in Schach gehalten und wagen nicht ihr Bett zu
verlassen. Sogar auf der Bahn ist es so unsicher, dass ordnungsgemäß
aufgegeben und im Packwagen mitgeführte Fahrräder auf der Endstation
nicht mehr vorhanden sind. So wurde mein Schwiegersohn sein kaum
gebrauchter Fahrrad unterwegs aus dem Bahnwagen entwendet. Er ist in
dieser Beziehung aber auch nicht der einzige Leidtragende in unserer
Gemeinde. Einer ganzen Anzahl aus unserer Gemeinde wurde das Fahrrad in
Esens gestohlen, besonders dann, wenn es nicht angeschlossen in Esens
vor de Geschäften stand, während man im Laden einkaufte. So wurde 1945 nachts bei dem Landwirt Frerich Eilts ein
Einbruch verübt. Die in heller Angst zu Bett liegenden Hausbewohner
wurden in Schach gehalten und alles Eingeschlachtete und sonstige Waren
und Sachen, die nicht gerade niet- und nagelfest waren, ließen die
verkleideten Räuber mit angeschwärzten Gesichtern mitgehen, ohne
erkannt oder gefasst zu werden.
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Zeitraum: 1947 – Lehrer
Becker wurde wieder in sein Amt eingesetzt. Am 1. Februar 1947 wurde ich endlich wieder in mein Amt
eingesetzt. Holtgast hatte seinen alten Lehrer Becker wieder. Herr
Bliesener wurde nun endgültig in den wohlverdienten Ruhestand versetzt
und kehrte daraufhin nach
Berlin zurück. Die Gemeindebehörde versuchte in die freigewordenen
Zimmer neue Flüchtlinge zu legen. Die Regierung verhinderte jedoch
dieses Vorhaben auf Veranlassung des Lehrers, da die Lehrerwohnung
bereits stark genug belegt war.
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Zeitraum: 1948 – Es
musste für weitere Flüchtlinge Platz geschaffen werden. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Flüchtlinge aus dem
Osten. Während ich dies schreibe – es ist im Juli 1948 -, sind in der
Gemeinde schon allerlei Baracken aufgebaut. Die so genannten Nissenhütten
wurden mit Steinmauern ausgebaut oder verschwanden auf
Nimmerwiedersehen. Dafür kaufte die Gemeinde eine Holzbaracke aus dem
Ungar- und Jugoslawenlager hinter Esens und stellte sie hier sehr zum
Leidwesen des Lehrers – auf dem Lehrerdienstland hinter der Schule
auf. Hätte sich für diese Baracke nicht anderswo in der gemeinde eine
bessere Stelle gefunden? Auf die schriftlich eingereichte Protestnote
des Lehrers hat der Gemeindeausschuss nicht wieder geantwortet. Die
Regierung in Aurich gab dagegen eine Verfügung betr. Schullands heraus,
die im Amtlichen Schulblatt
Nr. t 40. Jahrgang veröffentlicht wurde. Darin ist u. a. die Erwartung
ausgesprochen , dass künftig Fälle, die zum Nachteil des
Stelleninhabers und damit der Schulverwaltung über Schulland in dieser
weise verfügt wird, nicht mehr vorkommen. Nun steht die Baracke mitten
im Roggenfeld des Pächters Jacobs, ohne das irgendwelche Rücksicht auf
wirtschaftlichen Schaden genommen wurde. Kampf dem Verderb? – Die
Baracke soll 8 Haushalte aufnehmen, darunter 4 Einzelpersonen in je
einem Raum. Sie hat der Gemeinde viel Geld gekostet. Allein schon die
vielen Nachtwachen, die monatelang nötig waren zur Bewachung des Holzes
vor Diebstahl, haben eine Menge Geld verschlungen, aber das konnte noch
alles in Reichsmark gezahlt werden. Monatelang zog sich der Aufbau der
Baracke hin, monatelang lagen dien einzelnen Teile für die Diebe
griffbereit auf dem Sportplatz der schule. Erst Ende Juli 1948 war sie
soweit hergerichtet, dass einige Familien einziehen konnten.
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Zeitraum: 1948 – Die
Währungsreform und die Zeit danach. Inzwischen war am 20. Juni die solang angekündigte, aber
kaum ernstlich geglaubte Währungsreform gekommen. Sie machte uns mit
einem Schlage so arm wie je zuvor. Unser „Scheingeld“ wurde im Verhältnis
10: 1 abgewertet. Besonders hart und ungerecht empfunden traf dies
allgemeine Abwertung die alten Sparer, die sich ein Lebenlang mühselig
sich die Groschen vom Munde absparten und auf die Sparkasse brachten, um
im Alter einen kleinen Notgroschen zu haben oder sich ein kleines Ruhehäuschen
zu kaufen. Auch die Lebensversicherungen sind wieder so arg betroffen,
auch hier wieder am härtesten die langjährigen Versicherten, die bald
ein kleines Kapital ausgezahlt erhalten hätten. Wer von ihnen hat nun
noch wohl Zutrauen zu den Geldinstituten? Dass alles wieder über einen
Kamm geschoren wurde , ruft bei den redlichsten und ehrlichsten und
treuesten Menschen eine große Verbitterung hervor, besonders auch
deshalb, weil vorher immer verkündet wurde, dass recht unterschiedlich
verfahren werden sollte zwischen Schwarzhändlern, Schiebern und
Neureichen einerseits und den redlichen Sparern andererseits. Nun fangen
wir Älteren zum zweiten Mal ganz von vorne an und sind doch glücklich,
dass im Augenblick es für wenig Geld wieder was zu kaufen gibt und das
man nicht mehr kniefällig alles zu erbetteln braucht. Auf einmal sind
über Nacht auch genug Waren da. Sie müssen überall gehortet gewesen
sein. Und gute waren sind zu haben! Wo waren sie bloß vorher? Da gab es
nur Schund, Tand und nichtsnutzige Dinge, Trödlerkram. Die
angesehendsten Manufakturwarengeschäfte, alteingesessene Firmen hatten
kein Zeug zu verkaufen, aber wohl Aschenbecher, Fingerringe, Armbänder,
Halsketten usw. wie sonst der billige Jakob auf dem Rummel der Märkte
sie anbot. Die Preise waren für unsere Verhältnisse nur gepfeffert
hoch, denn unser Einkommen in Reichsmark war mit den Schwarzmarktpreisen
um keinen Pfennig gestiegen. Wir konnten die letzten Jahre mit einem
Monatsgehalt kaum ein Pfund Butter oder einen Zentner Futterkorn kaufen.
Alle Sachen, außer den notwendigsten Lebensmitteln eines
Normalverbrauchers waren für uns unerschwinglich. Wir denken wahrhaftig
an diese traurige Zeit nicht gerne zurück und trotzdem bangt uns vor
der Zukunft. Das Vertrauen ist futsch, wir wurden zu oft enttäuscht.
Unsere redliche arbeit ist bislang geradezu bestraft worden. „Wann wird der Retter kommen diesem Lande?“ Der Gegensatz zwischen Ost- und Westmächten wird von Tag zu
Tag größer. Wir durchleben mal wieder eine Zeit äußerster Spannung.
Nur schade, dass die deutschen stets den Rücken dafür herhalten müssen,
den kalten Krieg auszufechten. Im Augenblick sind es besonders die
Berliner, die dort lebenden unschuldigen Kinder, Mütter, Greise und
Kranke, die 2 ½ Millionen Menschen der 3 westlichen Sektoren der Stadt
die von den Russen blockiert, von den Russen blockiert, - von den Westmächten
auf dem Luftwege mit Lebensmitteln versorgt werden müssen. Wie lange
kann es so weitergehen. Nach der Währungsreform, die allerdings große Geldknappheit
zur Folge hatte, mögen nun doch wohl bald wieder genügend Schulbücher,
Schreibhefte usw. zu haben sein, damit endlich wieder geordneter
Unterricht erteilt werden kann. Ostern 1948 hatte die schule 100 Kinder,
1947 war die Zahl einmal 108 gestiegen. Da natürlich längst nicht alle
in einen Schulraum hineingehen, wird für das 1. und 2.
Schuljahr nachmittags von 13 bis 15 Uhr unterrichtet. Es ist eine
mühselige arbeit für den Lehrer, da auch die bescheidensten Lehr und
Lernmittel noch immer fehlen. Die Wiedereinrichtung einer 2.
Lehrerstelle ist angeregt. Aber kann die Gemeinde sich ausgerechnet
heute das leisten, was jahrelang versäumt wurde, nun da sie keinen
Pfennig mehr in der Kasse hat? Alles Geld öffentlicher Kassen ist ja
mit der Währungsreform für null und nichtig erklärt. Die Entscheidung
für ein „Für oder Wider“ liegt heute bei der Gemeindebehörde, die
Regierung verfügt nicht mehr ohne weiteres über die eine
Neueinrichtung einer Schulstelle.
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Zeitraum: ab 1949 – Holtgaster
Schulgeschichte der Nachkriegszeit. 1949 beschloss der Gemeinderat die Wiedereinrichtung einer 2.
Lehrerstelle. Sie wurde am 1. Dez. 1949 mit dem Schulamtsbewerber
Schmidt, einem gebürtigen Schlesier besetzt. Am 10.1.1950 nahm Herr
Schmidt den Unterricht auf. Am 22.8.1952 bestand er seine 2. Lehrerprüfung.
Er bewarb sich bald um eine erledigte Mittelschullehrerstelle in Esens,
die ihm dann am 1.4.54 auch übertragen wurde. Seine Nachfolgerin in
Holtgast wurde Frau Herta Riemke geb. Reinhardt, aus Altenburg in Thüringen
gebürtig, seit 1947 aber schon in Esens wohnhaft, ohne beruflich tätig
gewesen zu sein. Zu weihnachten 1952 erhielt unsere Schulklasse neues Gestühl,
27 Tische und 54 Stühle, dazu noch 1 Schreibtisch und einen Stuhl für
den Lehrer. Lieferfirma war Fa. Janssen & Sohn in Esens / Butterstraße.
Der Preis war etwa 2500 Dm. Der Kreis zahlte einen erheblichen Zuschuss.
Immer warten wir bislang noch auf den Anbau eines 2. Klassenzimmers. Überall
im Kreise, auch in der nächsten Nachbarschaft von Holtgast, werden neue
kostspielige moderne Schulen gebaut. Wir Holtgaster stehen scheinbar
bescheiden zurück und warten der Dinge, die da noch kommen sollen. Aber
die günstige Zeit scheint im Augenblick verpasst zu sein, denn bei künftigen
Neubauten fallen die beträchtlichen staatlichen Unterstützungen fort,
seit dem das Niedersächsische Schulunterhaltungsgesetz in Kraft
getreten ist. Dafür spart unsere Gemeinde auf Grund des neuen
Schulgesetzes, wonach der Staat alle persönlichen Schullasten trägt,
eine große Summe jährlich ein. Hoffentlich kommt sie unserer Schule
nun auch zugute! – Denn die Schule hat in den letzten Jahren viel
hergeben müssen für schulfremde Zwecke. Das Dienstland wurde der Nutzung durch den Lehrer zum allergrößten
Teil entzogen und den „Flüchtlingen“ zur Verfügung gestellt. Ein
Teil wurde gänzlich abgetrennt, um darauf 6 neue Häuser für 12
Familien zu errichten. So ist das idyllische allein stehende Schulhaus
jetzt nicht mehr der sorgsam gehütete Ruhepol der Gemeinde abseits des
Hasten und Treibens auf einer Strasse mit ihrem Verkehr, sondern der
Schulweg der Schulweg zur Straße der ja nur wenig breiter als ein gewöhnlicher
Fußweg ist, wird von vielen Kraftfahrern täglich befahren. Dieser
Kraftfahrverkehr ist umso größer geworden, seitdem dieser Weg eine
Schlackendecke bekam und zu den Siedlungshäusern Straßen angelegt
wurden. So sehr wir uns freuen, dass die Schulkinder endlich trockenen
Fußes zur Straße kommen können, so unterschätzen wir auch nicht die
vermehrten Gefahren, denen unsere Lieblinge auf diesem 200 m langen Wege
ausgesetzt sind. |