Die Holtgaster Heimat-Geschichte |
Holtgast war auch vom 1. Weltkrieg von 1914 bis 18 betroffen Quelle: Unterlagen des Königl. Konsistoriums zu Aurich, gefunden im Staatsarchiv, StAA Rep. 16/2 Nr. 2698 sowie Auszüge aus der Schulchronik von Holtgast von Joh. Baumfalk, die in der "Beckerschen Dorfchronik" wiedergegeben wurden. Der große Krieg von 1914 -1918 hat ganz anders in
das wirtschaftliche Leben unserer
Gemeinde eingegriffen als etwa frühere Kriege. 1870 wurden 5 Holtgaster
Einwohner eingezogen im (1.) Weltkrieg dagegen 63. Die Opfer dieses Krieges In dem großen Ringen sind auf dem Feld der Ehre verblieben:
An den unmittelbaren Kriegsfolgen starb in der Heimat
Bernhard Harms am 17.7.1919, während am 12.5.1916 Meino Lütjens in
Sibirien sein Leben lassen musste. Hinrich Uden, der seine Einberufung
kaum hatte erwarten können, fiel am 17. Mai 1915 in Galizien. Ebenfalls
musste Folkert ter Haar sein Leben fürs Vaterland hergeben. Die Namen dieser toten Helden mögen unserer Gemeinde ewig
unvergessen bleiben! „Ich hat einen Kameraden, einen besseren find´st
du nit!“ Freiwillig war aus Holtgast nur Rudolf Baumfalk, Seminarist der 3. Klasse in Aurich, in den Krieg gezogen. Von den Einberufenen wurden viele leichter oder schwerer verwundet, Jakob Evert Jakobs verlor in Russland das linke Bein, Meino Gerken die Finger der linken Hand. Wurde bei den Einberufungen gerecht verfahren? Es gab nur wenige Familien in unserer Gemeinde, die nicht irgendeinen
lieben Angehörigen ins Feld schicken mussten. Dass zu diesen
Familien fast ausschließlich die reicheren Bauern gehörten, war ein
sonderbarer Zufall. Andere Familien wurden dagegen aufs schwerste
getroffen. Der Zimmermann Galt Harms opferte dem Vaterland 3 Söhne. Die
vom Schicksal insofern begünstigten, dass sie während der
Schreckensjahre ruhig und sicher zu Hause ihrer gewohnten Arbeit
nachgehen konnten, wo unsere grauen Helden dort draußen im Dreck und
Schlamm in stillen Heldentum einer Welt von Feinden trotzten, die Heimat
mit ihren Leibern schützten und ihr Blut verspritzten, hätten
Gelegenheit genug gehabt, in der Heimat ihre Kräfte ganz in den Dienst
des Vaterlandes zu stellen. Aber die Organisation für diesen Fall
fehlte. Nach anfänglicher Begeisterung und Opferfreudigkeit nahm mit der Länge des Krieges der Opferwille immer mehr ab, freilich die Not der Zeit ja auch immer mehr zu. Man wurde schließlich kriegsmüde. In der Heimat wurde für die Soldaten an der Front gesammelt. Der Schreiber unserer Schulchronik hat über die
Sammelaktivitäten in unserer Gemeinde in folgender Weise berichtet:
„Die ersten Kollekten fürs Rote Kreuz ergab 241 M. Leider gaben
nicht, wie am jüdischen Gotteskasten, die Reichen viel. Die Schulkinder
sammelten verschiedene Male reichlich 250 M. lieferten 250 Paar Strümpfe,
126 Paar Pulswärmer, 3 Leibbinden und 5 Paar Kniewärmer nach Esens ab,
schickten Ende November 1915 neunundzwanzig 2-Pfund-Pakete, enthaltend
je 1 Paar Strümpfe und Pulswärmer ins Feld. Von den ersten Sammlungen
konnten fernerhin abgeliefert werden: 600 Pfd. Lumpen, 40 Pfd. Gummi,
200 kg Papier, und 57 kg Heide. Gestrickt wird noch immer. Seit Januar
1916 ist hier eine Ortsgruppe zum Roten Kreuz ins Leben getreten. Einmal
wöchentlich stricken sie in der Schule. Deren erste Sammlung im Februar
ergab 211 M. Im April wurden Eier gesammelt und 44 Sendungen von je 12
Eiern ins Feld geschickt. 9 mal 12 Eier blieben für die Fronturlauber
zurück. Weihnachten 1914 sandte die Gemeinde, von Lütjens und Taddigs
reichlich 200 M gesammelt, 33 Pakete ab. Weihnachten 1915 unter Anregung
des Lehrers Baumfalk im ganzen 406 M gesammelt, wurden in der Schule 60
Pakete gepackt und versandt. Jedes Paket enthielt 1 Pfd. Rotwurst, 1
Pfd. Plockwurst, 1 Pfd. Honigkuchen, 1 Paar Strümpfe, Briefpapier,
Tintenstifte. Die vierte Kriegsanleihe hat wohl die größten Erträge aus
der Gemeinde ergeben. In der Schule 20.300 M gezeichnet und am 18. April
bis auf 300 M eingezahlt. Es werden 40 bis 50.000 M gezeichnet sein, von
allen sind mir die Beträge nicht bekannt. Bei der 2. und 3. Anleihe war
meine Werbetätigkeit nicht so erfolgreich. Auch jetzt hätte der
doppelte Betrag gezeichnet werden können. Im Stöhnen sind viele groß,
im Geben klein. Einige glauben, sie würden in der Steuer heraufgesetzt.
Andere meinen dadurch würde der Krieg verlängert. Was aber dann
geschehen würde, wenn wir den Krieg aus Geldmangel aufgeben müssten,
wird nicht bedacht. An Brennnesseln wurden 156 Pfd. und an Weißdornfrüchten 45
Pfd. abgeliefert. Die Reichsmarinesammlung ergab 53 M, die
Hinterbliebenensammlung 58 M.“ So berichtet der Schulchronistenschreiber Lehrer Baumfalk.
Unter seinem Nachfolger, der schwerverwundet aus dem Heeresdienst
entlassen war, wurden in den Jahren 1917 und 1918
von den Schulkindern noch weiterhin gesammelt und abgeliefert: 24
Pfd. Kirschkerne, 128 Pfd. Weißdornfrüchte, 25 Pfd. Kastanien, 1 Pfd.
Pflaumensteine, 109 Pfd. Papier, 400 Pfd. Knochen, 802 Pfd. Laubheu. Die
Sammlung getragener Männer-Oberbekleidung betrug 9 Hosen, 4 Westen, 1
Joppe, 1 Überzieher und 4 Röcke. Die Bauern gehörten teilweise zu den Nutznießern dieses Krieges. Das die Einnahmen der Landwirte außerordentlich steigen, ist
ja offenkundig. Einer lieferte diese Tage eine Kuh für 1500 M ab.
Schaflämmer kosten bis 50 M, Pferde über 3000 M. Die Tonne Hafer wird
mit 36 M bezahlt, der Roggen ist billiger. Es verbittert die Sandleute,
dass sie den Roggen und Hafer sämtlich liefern müssen, die
Marschbauern dagegen ihre Gerste nur halb und die Bohnen ganz behalten können
und Preise von 100 M darüber nehmen. Dadurch ist die Geest sehr im
Nachteil und so konnten hier die Schweine nur mit Kartoffeln gemästet
werden. Viel Fett gab es daher nicht. Eine Stiege Eier kostete 5 M. So weit die Zahlen und Angaben aus der Schulchronik. Sie mögen
der Nachwelt künden von der Not des Vaterlandes, von dem Opfergeist und
dem Pflichtbewusstsein seines Volkes. Freilich steckten wir noch alle
mehr oder weniger tief im Liberalismus. Das liebe „Ich“ wurde dem
Volkswohl vorangestellt. Die Erkenntnis, dass Gemeinnutz vor Eigennutz
geht, dass der einzelne nichts ist, das Volk alles, dass es dem
einzelnen nur gut gehen kann, wenn es dem Volk gut geht, diese
Erkenntnis lag noch damals bei den allermeisten in weiter Ferne. |