Geschichtlicher Überblick über Holtgast in seinen Grenzen bis 1972 und danach.

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Holtgast, Samtgemeinde Esens, Landkreis Wittmund,                von Hans-Georg Hunger  

  1. Lage und Siedlungsform

Die Ortschaft Holtgast liegt ca. 5 km südlich der harlingerländer Deichlinie, auf einem nordwestlichen Ausläufer des oldenburgisch-ostfriesischen Geestrückens, in einer Höhenlage von 3,5  bis 5,4 m über NN. Der geologische Untergrund besteht überwiegend aus eiszeitlichem Geschiebemergel und fluviatilem Sand der Saale-Kaltzeit, Flugsand der Weichsel-Kaltzeit sowie in Teilbereichen aus Lauenburger Ton der Eemzeit. Am Südrand des Ortes liegt hinter einem bewaldeten Geestsporn die Talmulde des “Hartsgaster Tiefs“ mit einer Höhe von etwa 1 m über NN. Hier waren und sind Niedermoorbildungen zu finden.

Vor der Verwaltungs- und Gebietsreform (1972) grenzte die einstige Streusiedlung Holtgast im Osten an die Gemeinde Sterbur und die Stadt Esens. Im Süden bildeten die Orte Moorweg und Ost-Ochtersum und von Westen bis Norden die heutigen Ortsteile und früheren Gemeinden Fulkum und Utgast die Grenze zu unserem Dorf.  

  1. Vor- und Frühgeschichte, Bodendenkmäler

Bei archäologischen Untersuchungen des Baugebietes “Im Splitt“ wurden im Jahre 1996 annähernd 700 Befunde aufgedeckt, die eine Ansiedlung und einen Brennplatz aus der Spätlatène- bis zur frühen Römischen Kaiserzeit belegen. Etwa 700 m südwestlich von diesem Ort wurde im Jahr 2000 der Rest eines anthropogenen Siedlungshügels von ca. 150 m Länge und 70 m Breite unter Schutz gestellt, der im Volksmund mit „Hooge Warf“ bezeichnet wird. Bei diesem Bodendenkmal handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine zwischenzeitliche Haufen-Siedlung aus dem frühen Mittelalter. Neben dieser Warf konnten im Jahre 2002 vor der Erstellung eines Regenrückhaltebeckens 80 weitere Befunde dokumentiert werden. Die unterschiedliche Beschaffenheit der gefundenen Keramikteilchen und ein weiterer, in der Nähe liegender Fundplatz von Urnen aus der Völkerwanderungszeit, lassen eine durchgängige Besiedlung dieses Teils unserer Gemeinde seit der Römischen Kaiserzeit bis in die Neuzeit vermuten.  

  1. Ortsname

Der Name Holtgast entstand durch die landschaftliche Beschaffenheit des Dorfgebietes. Während die erste Silbe „Holt“ auf einige Gehölze in der Gemarkung hinweisen, gibt es für die zweite Silbe zwei Deutungsmöglichkeiten. Denn das Dorf liegt mit den Nachbarorten Utgast und Hartsgast auf einem großflächigen, verhältnismäßig fruchtbaren Geestrücken, der sich durch abgelagerten Flugsand auf wasserundurchlässige Geschiebemergelschichten nach den Saale- und Weichsel-Kaltzeiten bildete. Solche Flächen nennt man in Ostfriesland “Gaste“ und anderswo auch “Esch“. Zudem entstanden hier im zehnten Jahrhundert Gemeinschaftsäcker, die ebenfalls mit “Gaste“ bezeichnet wurden. Davon abgeleitet lautete der Ortsname bis ins 19. Jahrhundert „Holtgaste“. Später wurde daraus Holtgast und bedeutet „bewaldeter Geestrücken“.  

  1. Geschichtlicher Überblick

    1. Entwicklung der Gemeinde bis zur Weimarer Republik

Der erste Ortsmittelpunkt mit dauerhafteren Wohnplätzen bildete sich ab dem Mittelalter im Bereich “Loog“ und dem heutigen südlichen “ Brandshoff “. Es ist durchaus denkbar, dass sich darunter auch schon die acht Siedlungsplätze befanden, die uns aus den Weinkaufprotokollen ab dem Jahre 1556 bekannt sind. Denn diese acht Bauernhöfe (Herde) spielten auch in der weiteren Entwicklung unseres Dorfes bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, immer eine wichtige Rolle.

Trotz des frühen Siedlungsbeginns erfolgten erste namentliche Hinweise auf unser Dorf erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Damals mussten die Holtgaster zusammen mit den Holtriemern einen Teil des Esenser Befestigungsgrabens instand halten und im Winter enteisen. Die älteste Urkunde in der auf Holtgast Bezug genommen wurde, datiert vom 16.9.1514 in Form einer vom Häuptling Hero Omken d. J. gesiegelten Verkaufsurkunde.

Die Entwicklung der Bauernschaft verlief in der Folgezeit eher unauffällig. Das Schicksal der Dorfbewohner wurde allerdings häufig durch Geschehnisse beeinflusst, die mit dem nahe gelegenen Esens zu tun hatten. Dies führte bei den Fehden der dortigen Häuptlinge mit den ostfriesischen Grafen sogar dazu, dass der Ort am Beginn des 16. Jahrhunderts einmal gänzlich zerstört und abgebrannt wurde.

Obwohl sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Folgezeit kaum besserten, übte das Dorf immer einen besonderen Reiz auf neue siedlungswillige Kolonisten aus. Der Hauptgrund dafür dürfte wohl das große unbewohnte Heidegebiet gewesen sein, das für den Viehauftrieb genutzt wurde. Dieses mit „Holtgaster Feld“ bezeichnete Areal gehörte zur Allmende (Gemeinschaftsbesitz) der Bauernschaft und hatte nach dem Ergebnis der Vermessungen von J. B. Regemort aus dem Jahre 1670 eine Größe von 322 Diemat (ca.184 ha). Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in der Gemarkung bereits 9 weitere Warfsleute niedergelassen. Die Entstehung von weiteren 25 Warfstellen geht auf das Urbarmachungsedikt des Jahres 1765 zurück, welches nach dem Tode des letzten ostfriesischen Fürsten Carl-Edzard im Jahre 1744, vom neuen ostfriesischen Landesherrn und Preußenkönig Friedrich II. erlassen wurde.

In einer zwischenzeitlichen  Besatzungszeit durch Holländer und Franzosen (1806 bis 1813)

wurde Holtgast von 1810 bis 1813 ein Teil der Mairie Ochtersum im Kanton Esens. Nach einer preußischen Übergangszeit (1813-1815) kam Ostfriesland zum Königreich Hannover.

Am 8.6.1836 wurde infolge eines Antrages der Bewohner die Gemeinschaftsweide aufgeteilt. Davon erhielten die Altbauern jeweils 9 Diemat als Ersatz für ihre alten Anteilsrechte. Mit der Bereitstellung von 3 Diemat dieses Feldes an neue Siedler für Kultivierungs- und Bebauungszwecke, vergrößerte sich die Bewohner- und Gebäudezahl des Dorfes erneut.

Aus dem Bestand der Gemeinschaftsweide wurden zudem 40 Diemat aufgeforstet und mit dem “Schafhauser Wald“, östlich des „Benser Tiefs“, vereinigt. Bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts konnten Holtgaster Bürger darin Äcker eines 17 Diemat großes Teilstücks anpachten. In einem südlich des Waldes liegenden Niedermoorgebiet mit dem Namen „Buurhörn“ haben bis dahin auch noch einige Bauern nach Torf gegraben. Später ist ein weiteres 30 Diemat großes Feuchtgebiet („Moorhamm“) aus dem alten Holtgaster Feld an die Forstverwaltung verkauft worden.

Nach der erneuten Zugehörigkeit Ostfrieslands zu Preußen ab dem Jahre 1866, wurden im Jahre 1885 die einstmals aus Burgvogteien entstandenen Ämter aufgelöst und neue Landkreise gebildet. Holtgast, das zuvor zur Vogtei Holtriem im Amt Esens gehört hatte, wurde nun eine selbstständige Gemeinde im neu gebildeten Landkreis Wittmund.

Es ist nicht bekannt, ob und wie viele Holtgaster Bürger zuvor schon an Kriegseinsätzen beteiligt waren. An dem deutsch-französischen Krieg von 1870 bis 1871 nahmen 5 und im 1. Weltkrieg weitere 66 Dorfbewohner teil, von denen 19 als Gefallene, Vermisste oder aus der Gefangenschaft nicht zurückkehrten.

In der “Weimarer Republik“ änderte sich an der landwirtschaftlich ausgerichteten, dörflichen Struktur wenig. Bedingt durch die wirtschaftlichen Probleme dieser Zeit, suchten aber schon viele jüngere Dorfbewohner eine neue Existenz im näheren Ausland oder in Nordamerika.

    1. Veränderungen in der NS-Zeit

Nach der Machtübernahme der NSDAP musste der 1925 gewählte Ortsvorsteher im Jahre 1933 einem neuen Gemeindeschulzen weichen, der der NSDAP angehörte. In der Folgezeit verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der Arbeitnehmer in unserem Ort durch neue Beschäftigungsverhältnisse in Rüstungsbetrieben, beim Aufbau von Flugplätzen und anderen militärischen Einrichtungen sowie durch viele weitere infrastrukturelle Maßnahmen.

Eine größere Anzahl der Bürger traten NS-Organisationen (“Hitlerjugend“, “Bund deutscher Mädel“, “Reichsluftschutzbund“) und dem “Stahlhelm“, z.T. im Verbund mit den Nachbarorten, bei. Da in unserem Ort keine Juden ansässig waren, gab es relativ wenige Aktivitäten gegen diese bedauernswerten Menschen.

An dem folgenden 2. Weltkrieg waren von etwas mehr als 400 Einwohner insgesamt 95 Holtgaster beteiligt. Diesmal waren 28 Opfer als Gefallene, Vermisste oder als Verstorbene in der Kriegsgefangenschaft zu beklagen. Nach der Besetzung Frankreichs (1940) wurde im s.g. “Schafstall“, einem Saal bei der Gastwirtschaft “Ziegelhof“, ein Kriegsgefangenenlager mit der Kommando-Nr. 1069 für rund 50 französische Kriegsgefangene eingerichtet, die tagsüber auf den Höfen in Utgast und Holtgast sowie in Teilen von Sterbur und Fulkum eingesetzt wurden. Am 27.2.1942 stürzte im südlichen Dorfgebiet ein englischer Bomber nach dem Abschuss eines Jagdflugzeuges ab. Dabei kamen alle Insassen ums Leben. In der Folgezeit gab es eine zunehmende Bedrohung für die Einwohner durch Bomber und Jagdflugzeuge der Alliierten. Am 15.10.1944 nahm unser Dorf durch eine Bombardierung großen Schaden, bei dem zwei Häuser und eine Scheune sowie eine Reihe von Heu- und Strohschober in Brand gerieten und viele Häuser abgedeckt bzw. beschädigt wurden. Am 25.4.1945 wurde ein Munitionszug angegriffen und in Brand geschossen. Dabei verlor eine Begleitperson das Leben. Da die Kriegsfront am Tage des Waffenstillstandes vom 7.5.1945 unser Dorf noch nicht erreicht hatte, blieb es von weiteren Kriegshandlungen verschont.

    1. Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg

Gleich nach Kriegsende rückten kanadische und später britische Soldaten in Esens und die Nachbardörfer wie Holtgast ein und übernahmen die dortige Verwaltung. Bei den Untersuchungen nach Bürgern mit einer “Nazi-Vergangenheit“ musste der Dorfschullehrer vorübergehend von seinem Dienst zurücktreten. Zur Abarbeitung der Verwaltungsaufgaben setzten die Militärs einen “unbelasteten“ Bürgermeister ein. Er hatte u.a. für die Unterbringung von 170 Flüchtlingen aus den Ostgebieten um Stettin, Stolzenhagen, Pölitz, und Kolberg zu sorgen, die z. T. schon vor Kriegsende ins Dorf gekommen waren. Da die Wohnverhältnisse in der Gemeinde bis dahin auch schon recht beengt waren, war dies alles andere als einfach. Deshalb fanden spätere Vertriebene aus Schlesien nur noch vorübergehende Unterkünfte in Nissenbaracken.

Bei der ersten freien Gemeinderatswahl im Jahre 1948 bekam unser Ort einen neuen Bürgermeister, der die Geschicke der Gemeinde von da an in den nächsten 20 Jahren leitete. Das Hauptproblem blieb auch weiterhin die Unterbringung der Heimatvertriebenen. Aus diesem Grunde wurden 1948 zunächst eine Wohn- und  Sozialbaracke und 2 Jahre später 6 neue Doppelhäuser auf dem Schulgelände errichtet. Nachdem in Esens weiterer Wohnraum für Vertriebene bereitgestellt wurde, konnten die Baracken 1958 abgebaut werden.

Zuvor waren im Jahre 1954 in Holtgast 598 (286 männliche und 312 weibliche) Einwohner gezählt worden, unter denen sich noch 106 ehemalige Flüchtlinge befanden. Die meisten davon haben sich inzwischen integriert und in Holtgast eine 2. Heimat gefunden. Andere sind in das wirtschaftsstarke Rheinland oder andere Orte mit besseren Perspektiven gezogen. Neben dieser Personengruppe verließen aber auch viele junge Einheimische unser Dorf in Richtung Bergbau oder anderen Industriebetrieben um dort ein Auskommen oder auch nur einen Ausbildungsplatz zu finden. Diese Entwicklung änderte sich erst, als im näheren Umfeld neue Arbeitplätze in den „Olympia-Werken“ und den Werften in Wilhelmshaven bzw. Emden oder in neuen militärischen Einrichtungen und Anlagen, geschaffen wurden. Mit dieser Entwicklung setzte auch eine starke Belebung in der Bauwirtschaft ein. Durch die Erneuerungen der Norder Landstraße (1952) und Barkholter Straße (1961), den Ausbau vieler Gemeindewege zu Straßen (ab 1963), Straßenbeleuchtungen, Hauswasserversorgungen (ab 1965) und anderen infrastrukturellen Einrichtungen, herrschte für die Bewohner unseres Ortes über einen langen Zeitraum Vollbeschäftigung.

Nach dem Zusammenschluss der einstmals selbstständigen Gemeinden Damsum, Fulkum, Holtgast und Utgast im Jahre 1972 zur neuen Einheitsgemeinde Holtgast als Teil der Samtgemeinde Esens, gab es im Ortsteil Holtgast eine stetige Weiterentwicklung. Dazu gehörten der Neubau eines Feuerwehrgerätehauses (1972), die Einrichtung eines Kinderspielkreises (1973) und eines Jugendraumes (1977) sowie die Erstellung einer Mehrzweck- und Pausenhalle (1985) am Grundschulstandort.

Nachdem der Innenbereich des Ortsteils Holtgast 1994 an das zentrale Abwassernetz angeschlossen wurde, entstanden viele weitere Häuser in den Bebauungsgebieten “Im Splitt“, “Lehm- und Tichelweg“, “Hooge Warf“, “Achtert Haltestä“ und “Ledern Lamp“. Die Ausweisung der Gewerbegebiete beim “Ziegelhof“ und “Up de hoogen Höchte“ führte zudem zu einigen Firmenneugründungen und einer Betriebsverlegung nach Holtgast.

Ab dem Jahre 2002 konnte mit großem ehrenamtlichen Engagement aus der Dorfbevölkerung ein Umbau der einstigen “Haltestelle“ (frühere Gastwirtschaft mit landwirtschaftlichen Nutzgebäuden) zu einem Dorfgemeinschaftshaus realisiert werden.

    1. Statistische Angaben

Bei der “Statistisch-Topographischen Beschreibung für das Amt Esens“ aus dem Jahre 1794 wurden für die in der Vogtei Holtriem liegende “Commune Holtgaste“ 174 “Seelen“ und dem mit unter Holtgast aufgeführten Bereich “Marienkamp“ noch einmal 9 “Seelen“ gezählt.

Bei der Volkszählung von 1819 war die Einwohnerzahl für beide Bereiche bereits auf 264 angewachsen. Sie wohnten und lebten in 8 ganzen und 2 “halben“ Bauernhöfen sowie 63 Warfstellen auf einer Gemeindefläche von rund 5,55 km2.

Die weitere Einwohnerentwicklung: 1821:284; 1848: 295; 1871:384; 1885:376; 1905:392; 1925:397; 1933:429; 1939: 419; 1946:597; 1950:620; 1956:573; und 1969:734 Einwohner.

Nach dem Zusammenschluss mit den Dörfern Damsum, Fulkum und Utgast betrug die Bevölkerungszahl im Jahre 1972:1.640; 1980:1.594; 1990:1.570; 2000:1.656; und 2008:1.863 Einwohner. Diese verteilten sich 2008 auf die Ortsteile wie folgt: Damsum = 155, Fulkum = 268, Holtgast = 1046 und Utgast = 398 Einwohner. Die Gemeindefläche hat sich durch die Ortsteile Damsum (3,51 km2), Fulkum (7,27 km2), Holtgast (5,55km2) und Utgast (7,66 km2) auf insgesamt 23,99 km2 vergrößert. Die Bevölkerungsdichte der neuen Gemeinde Holtgast ist von 1972 = 68 Einw./km2 auf  2008 = 78 Einw./km2 gestiegen.  

  1. Nebenorte, Kolonien, Wohnplätze

Zur alten Gemeinde Holtgast gehören die Ortsteile Loog, Schanze, Wold, Coldewind,  Mühlenstrich und das Einzelgehöft “Hammerhuus“. Diese Bereiche liegen nach dem Beschluss des Gemeinderates über eine Innenbereichssatzung für den Ortsteil Holtgast vom 10.10.1983 und der Neufassung vom 1.4.1993  im Außenbereich des Dorfes. Mit den neuen Siedlungsgebieten, die sich südlich der Norder Landstraße und östlich der Barkholter Straße bildeten, verlor der einstige Ortsmittelpunkt “Loog“, in dem die Bauernschaft einmal mit entstanden ist, den Anschluss an den neuen Ortkern.

Am Schanzweg entwickelte sich ab 1960 durch den Verkauf von mehreren Bauplätzen eine dezentrale Wohnsiedlung. An diesem Weg liegen aber auch einige Wohnplätze, die es schon seit dem 18. Jahrhundert gibt.

Der Ortsteil “Coldewind“ besteht aus einem westlichen Bereich, der zur Gemeinde Utgast gehörte und einer östlichen Häusergruppe, die im 18. Jahrhundert auf dem Holtgaster Feld entstanden und später weiter bebaut worden ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Ortsteil “Wold“. Hier gibt es einen östlichen Teil, der zur Gemeinde Sterbur (heute Esens) gehört und eine westlich des “Benser Tiefs“ und des “Oldendorfer Weges“ liegende Häusergruppe, die sich ab dem 18. Jahrhundert ebenfalls auf dem Holtgaster Feld bildete.

Östlich des heutigen “Benser Tiefs“ befindet sich der Ortsteil “Mühlenstrich“. Dieses Gebiet ist identisch mit dem Gelände des früheren Benediktinerklosters “Ezelingvelde“ (Bez. lt. Germania Benedictina), das im Jahre 1421 durch Augustinerchorherren in “Marienkamp“ umbenannt wurde. Südlich der Straße “Mühlenstrich“ gibt es ein ca. 325 m langes und 150 m breites sowie durchschnittlich 1,5 m hohes, überwachsenes Trümmerfeld, welches die einstige Bedeutung der im Jahre 1530 zerstörten Klosteranlage erahnen lässt. In einem geringen Abstand dazu entstand wenige Jahre später ein herrschaftlicher Erbhof, der in den Weinkaufprotokollen des Amtes Esens ab 1556 schon zu Holtgast gerechnet wurde. So auch die alte Klostermühle, auf die die heutige Bezeichnung der Straße und des Ortsteils zurückgeht. In früheren Karten wurde die Wegverbindung nach Esens mit “Holtriemer Weg“ und nach dem Bau einer Straße im Jahre 1870 zunächst mit “Norder Chaussee“ bezeichnet. Entlang dieser Straße entstanden im 17., 18. und 19. Jahrhundert weitere Häuser.

Der Plaats “Hammerhuus“ liegt etwa 200m vom südlichen Brandshoff entfernt an dem “Helmerweg“ zum Holtgaster Hammer. Dieser Wohnplatz lässt sich schon in den Weinkaufprotokollen von 1556 nachweisen und ist vermutlich auch noch erheblich älter. Mit seinem umfangreichen Grundbesitz ist er der größte Hof im Ort.  

  1. Religion

Das ehemalige Benediktiner- und spätere Augustinerkloster Marienkamp wurde erstmals am 9. Febr. 1421 urkundlich erwähnt. Es wird aber für wesentlich älter gehalten. Ob es schon eine Klostergründung zum Ende des 12. oder am Beginn des 13. Jahrhunderts gegeben hat, lässt sich z.Zt. noch nicht nachweisen. Das einstige Ordenshaus auf dem heutigen Gemeindegebiet von Holtgast wurde auf Betreiben des Häuptlings Wibet von Stedesdorf im Jahre 1420 von Chorherren des Augustinerordens der Windesheimer Kongregation aus Frenswegen bei Nordhorn, zusammen mit anderen Klöstern und Vorwerken in der näheren Umgebung reformiert. Während die Benediktinerära geschichtlich weitestgehend im Verborgenen liegt, gibt es einige wiederentdeckte Schriften aus der Augustinerzeit, die ab 1421 bis zum Untergang des Klosters im Jahre 1530 Auskunft über die dortigen Geschehnisse geben. Darin sind auch Hinweise auf eine ältere Bausubstanz (Klosterkirche und -gebäude) aus der Benediktinerzeit zu finden, die auf eine recht frühe Existenz des älteren Teils der Klosteranlage hindeuten. Die neuen Chorherren bauten “Ezelingvelde“ nach 1421 erheblich aus und nannten es von da an “Marienkamp“ (Campus beate Mariae). Im 15. Jahrhundert wurde es zum Mittelpunkt der mitverwalteten Vorwerke Pansath, Margens, Schafhaus, Schoo und Oldekloster sowie der inkorporierten Ordenshäuser Sielmönken, Hopels und Coldinne und erreichte eine landesweite Bedeutung.

In Marienkamp waren um 1430 ca. 36 Geistliche und 100 Laienbrüder ansässig. Der Landbesitz mit den Vorwerken und den anderen mitverwalteten Kommenden war riesig und erstreckte sich durch weitere Schenkungen bis in das Groninger- und in das Emsland.

Das zu Ende gehende 15. Jahrhundert gestaltete sich für die Ordensbrüder jedoch schwierig, weil ihr Haus und die Vorwerke auf dem Herrschaftsgebiet des Esenser Häuptlings Hero Omken d. J., weitere mitverwaltete Kommenden jedoch im Bereich des ostfriesischen Grafen Edzard lagen. Nachdem einige Friedensvermittlungen erfolglos blieben, wird ab dem 16. Jahrhundert über einen Verfall von Sitte und Moral hinter den Klostermauern berichtet. In dieser Zeit gab es auch einige Überfälle und im Jahre 1530 die Besetzung durch Söldner des ostfriesischen Grafen Enno II., der von Marienkamp aus die Kampfhandlungen gegen Esens und den Junker Balthasar führte. Dabei kam es zur Zerstörung der gesamten Klosteranlage. Die Insassen fanden zunächst eine Unterkunft im Vorwerk Pansath, wurden dort aber schon vier Jahre später wieder vertrieben. Viele flüchteten in das Groninger Land. Andere schlossen sich der Reformation an, die im Harlingerland um 1538 auf Johannes Fischbeck zurückgeht.

In der Dorfschaft Holtgast gab und gibt es keine eigene Kirche. Sie war und ist seit jeher ein Teil des Kirchspiels Esens mit der St. Magnus Kirche. Dies führte bis zum Zuzug von Heimatvertriebenen nach dem 2. Weltkrieg dazu, dass die Dorfbewohner nach der Reformation mit ganz wenigen Ausnahmen lutherischen Glaubens waren.  

  1. Bildung, Kunst, Kultur

    1. Schulische Entwicklung

Erste Aufzeichnungen über ein Schulwesen in Holtgast beginnen im Jahre 1732. Nach der Bildung einer Schulgemeinde ist damals eine lutherische Nebenschule beantragt und genehmigt worden. Die Unterrichtung erfolgte zunächst in den Wintermonaten in einem Nebengebäude im Ortsteil Loog. Im Jahre 1818 erhielt die Gemeinde ihre erste eigenständige Schule im südlichen Brandshoff . Sie entsprach aber schon bald nicht mehr den damaligen Anforderungen und so kam es im Jahre 1861 zur Einweihung eines zweiten Schulgebäudes mit Lehrerwohnung in unmittelbarer Nähe zur Ersten, welche anschließend abgebrochen wurde. Der Unterrichtsraum dieser einklassigen Schule war für siebzig Schüler konzipiert worden. Durch eine ständig wachsende Bevölkerung stiegen die Schülerzahlen aber zeitweilig bis über hundert. Dies hatte einen weiteren Schulneubau im Jahre 1903 zur Folge. Doch auch dieser einklassige Unterrichtsraum konnte schon bald die Schüler der acht Schuljahrgänge nicht mehr fassen, sodass im Jahr 1921 erst einmal ein zweiter Lehrer eingestellt und eine Aufteilung der Schüler in einer Vormittags- und einer Nachmittagsklasse mit je vier Jahrgängen erfolgen musste. Dies geschah auf Anordnung des Landkreises Wittmund gegen den Willen der damaligen Gemeindevertreter, die sich auch gegen den Anbau eines zweiten Klassenraumes sträubten. Daraufhin mussten die Schulkinder bis zum Ausbau des Schulstandortes Holtgast im Jahre 1965 zweischichtig unterrichtet werden.

Die Einführung des neunten Schuljahres für Hauptschüler im Jahre 1962 läutete das Ende von vielen einklassigen Zwergschulen und eine Entwicklung ein, an deren Ende der im Jahre 1969 weiter ausgebaute Schulstandort Holtgast der Grundschule Esens-Süd ab 1970 zur neuen Heimat der Erst- bis Viertklässler aus den Ortsteilen Fulkum, Holtgast und Utgast wurde. Die Grundschüler aus Damsum und die älteren Schuljahrgänge aus dem Samtgemeindegebiet werden seit dieser Zeit in neuen, weiterführenden Schulen in Esens unterrichtet.

    1. Theater, Kino, Musik, Zeitungen etc.

In unserem Dorf gab es bereits vor und auch nach dem 2. Weltkrieg Laienspielgruppen, die zu besonderen Anlässen plattdeutsche Theaterstücke aufführten. Dazu zählten u. a. eine Theatergruppe des “Stahlhelm“ und die Spielschar “Sorgenfrei“, die mit ihren Aufführungen zu begeistern wussten. Im Jahre 1980 folgte die Gründung der “Holtgaster Theaterspölers“, die zunächst in der Aula der Mittelpunktschule “Esens-Land“, in der “Theodor-Thomas-Halle“ in Esens oder in Festzelten, niederdeutsche Theaterstücke zur Aufführung brachten. Mit dem Anbau einer Mehrzweckhalle an der Grundschule erhielt diese Theatergruppe, ebenso wie die Laienspielschar aus Utgast, eine neue Spielstätte, in der alljährlich niederdeutsche Theaterstücke zur Aufführung kommen.

In Holtgast hat sich im Jahre 1976 auch ein Jugendspielmannzug gebildet, der an vielen Veranstaltungen des Jahres im Ort, aber auch im weiteren Umfeld, teilnimmt.

Seit 1978 gibt es außerdem eine Volkstanzgruppe, die sich inzwischen auf zwei Altersklassen (Kinder / Jugendliche und Erwachsene) weiter entwickelt hat. Die überregional bekannten Tänzerinnen und Tänzer wurden zusammen mit einer Fahnenschwingerformation, die ebenfalls zu dieser Gemeinschaft gehört, zu sympathischen Werbeträgern unseres Ortes.

Im Jahr1983 entstand in unserem Dorf zudem ein Singkreis. Dieser gemischte Chor gestaltet u.a. Heimatabende und weitere Veranstaltungen innerhalb der Gemeinde.

Eine weitere Arbeitsgruppe betreibt seit 2007 auf der Galerie der Veranstaltungsscheune, des Dorfzentrums “Haltestelle“ eine heimatkundliche Ausstellung, die jederzeit nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden kann.

    1. Kunsthistorische Besonderheiten

Aus dem ehemaligen Kloster Marienkamp wurden einige bedeutsame literarische Funde von überregionaler Bedeutung wieder entdeckt. Hierzu zählen das wohl älteste handschriftlich erstellte Buch des Harlingerlandes „Spiegel der Sünde“ mit einer Handzeichnung aus dem Jahr 1448, eine Mönchsschrift zu dem ersten Prior des Klosters, Arnold v. Creveld, aus der Zeit um 1450 und ein kunstvoll angefertigtes Messbuch (Missale) das ebenfalls dem 15. Jahrhundert entstammt. Während die Mönchsschrift im Staatsarchiv in Aurich eingesehen werden kann, befinden sich die anderen literarischen Unikate in den Bibliotheken von Amsterdam und Kopenhagen.

    1. Namhafte Persönlichkeiten

  1. Wirtschaft und Verkehr

Holtgast verdankt seine positive Entwicklung einer siedlungsfreundlichen und verkehrsgünstigen Lage an einem alten Handels- und Heerweg, der von Esens aus durch das Gemeindegebiet und dem Holtriemerland bis nach Norden führte. Bei dem s.g. “Splitt“ zweigte davon ein alter Postweg in Richtung Fulkum und Dornum ab. Weitere Wege führten in den Norden nach Utgast bzw. zur Küste und im Süden zu ausgedehnten Moorgebieten. Im Ort bildeten sich frühzeitig landwirtschaftliche Gehöfte. Bis zu einem Strukturwandel, der in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzte, blieb die Landwirtschaft der wichtigste Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber in unserem Dorf. Nach Angaben der Holtgaster Schulchronik gab es um 1900 einen Hof mit einer Größe von 60 ha, mehrere Höfe zu denen 37, 30 bis 20 ha landwirtschaftliche Nutzflächen und weniger gehörten sowie eine Reihe von Warfstellen mit einer Größe bis zu 4 ha. Die meisten Einwohner konnten aber von den Erträgen ihrer Siedlungsstellen nicht leben und waren auf einen Zuverdienst bei größeren Bauern im Ort, in der nahen Marsch oder in anderen Gegenden angewiesen.

Eine weitere Personengruppe erhoffte sich durch eine Auswanderung nach Nordamerika oder ins nahe Ausland, bessere Lebensbedingungen. In einem Zeitraum von 1864 bis 1930 beantragten insgesamt 89 Personen aus unserem Dorf einen Pass für eine Ausreise aus Ostfriesland. Davon wollten 29 in die “Vereinigten Staaten“ auswandern, 20 suchten eine Arbeit beim Hafenaufbau von Wilhelmshaven, 15 bewarben sich um eine Anstellung im Jeverland, 12 wollten sich eine Arbeit in Holland suchen und 6 erhofften sich in der christlichen Seefahrt ein Auskommen. Sieben weitere Personen hatten die Pässe aus anderen Gründen beantragt.

In der Landwirtschaft hat sich inzwischen viel geändert. Heute bewirtschaften die Bauern ihre Höfe überwiegend mit maschineller Unterstützung und ohne Fremdhilfe. Kleinere Betriebe konnten da nicht mehr mithalten und mussten aufgegeben werden. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen des Dorfes wurden inzwischen von den vier verbliebenen landwirtschaftlichen Betrieben oder von auswärtigen Bauern übernommen bzw. angepachtet.

Gewerbe: Auf dem Klostergelände von Marienkamp, im Ortsteil “Mühlenstrich“, entstand 1424 die erste Bockwindmühle in Ostfriesland. Sie wurde 1684 an einen neuen Standort verlagert. Zu dieser “Fürstlichen Klostermühle“ gab es für die Bauern von Stedesdorf bis Fulkum bis ins 18. Jahrhundert eine Verpflichtung zur Kornanlieferung und zu zahlreichen Hilfsdiensten im Reparaturfall. Später reduzierte sich der Anlieferbereich auf  31 Bauern aus Holtgast, Fulkum und Utgast. Nachdem der Betrieb der Mühle 1938 wegen Unrentabilität eingestellt wurde, folgte 1948 der Abbruch.

Einige Flurbezeichnungen in der Holtgaster Gemarkung lassen erkennen, dass hier einmal aus dem reichlichen Tonvorkommen des Ortes Steine und Dachziegel im Feldbrandverfahren erstellt wurden. Das Wissen um die Fertigungsmethode geht vermutlich auf die früheren Mönche des Klosters Marienkamp zurück. Im Jahre 1797 entstand dann am “Klostertief“ die erste Ziegelei im Amt Esens. Da ihr ein Privileg für fünfzig Jahre gewährt wurde, blieb sie in dieser Zeit auch die einzige ihrer Art. Nach rund einhundert Jahren des Bestehens musste die Manufaktur, in der bis zu 200.000 Steine jährlich gefertigt worden waren, am Ende des 19. Jahrhunderts den Betrieb einstellen, weil der Rohstoff Ton in der näheren Umgebung ausgegangen war.

Im 19. Jahrhundert entstanden in unserem Dorf auch einige Handwerksbetriebe. Zu ihnen gehörten zunächst 2 Weber und 2 Zimmerer. Zudem gab es neben der bereits erwähnten Windmühle noch 2 Gastwirtschaften und 2 Kolonialwarengeschäfte. Diese gehörten nach unserer Schulchronik auch noch im Jahre 1936 zu den Gewerbetreibenden. Das Handwerkswesen hatte sich bis dahin mit mehreren Zimmermeistern, 3 Schuhmachern,
1 Malermeister, 1 Hausschlachter, 1 Tischlermeister, 1 Steinsetzer, 1 Zementwarenhersteller und 2 Bäckereien weiter entwickelt. Sie profitierten nach dem 2. Weltkrieg zunächst noch von den Aufbaujahren. Ab Mitte der sechziger Jahren veränderte sich aber durch den Bau neuer Straßen und eine individuelle Motorisierung der Haushalte, allmählich die örtliche Versorgung hin zu einer zentralen Versorgung aus dem nahen Esens. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt, als in Esens erste Supermärkte und neue Gewerbeflächen entstanden. In der Folge kam es in unserem Dorf zu zahlreiche Betriebsschließungen von alteingesessenen aber auch zwischenzeitlich neu gegründeten Unternehmen. Diese negative Entwicklung, zu der auch die Aufgabe der Poststelle gehörte, wurde erst durchbrochen, als in unserem Ort ab dem Jahr 2000 kleinere Gewerbeflächen ausgewiesen wurden.

Bei einer Erhebung im Jahre 1969 waren von den 734 Einwohnern 288 erwerbstätig. Von ihnen wurden 48 (17%) in der Land- und Forstwirtschaft, 101 (35%) im produzierendem Gewerbe und 139 (48%) im Bereich Dienstleistung und Verkehr beschäftigt. Die Arbeitsplätze bestanden damals für 82 Personen in Esens, 13 in Wilhelmshaven und 21 in Emden. Weitere 73 hatten ein Beschäftigungsverhältnis in und im näheren Umfeld von Holtgast. Inzwischen hat sich die Erwerbslage geändert. Im Jahre 2008 gab es im alten Dorfgebiet 1 Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsbaufirma, 1 Bauunternehmer, 1 Schlosserei, 1 Fuhrunternehmen, 1 Fliesenlegerbetrieb, 1 Physiotherapie-Praxis, 1 Tierarzt-Praxis,
1 Bootsservice, 1 Holzverarbeitungsbetrieb, 1 Versicherungsagentur, 1 Bäckereifiliale, 1 Bezirks- Schornsteinfegermeister, 1 Kfz-Reparaturwerkstatt, 1 Änderungsschneiderei, 1 Gastwirtschaft mit Kiosk, 1 Landhotel, 1 Diskothek, 1 Campingplatz und mehrere Vermietungsbetriebe.

Die meisten Arbeitsstätten für die in Holtgast lebenden Einwohner liegen jedoch außerhalb des Dorfes. Schwerpunkte für die Beschäftigungsverhältnisse sind in der Industrie (Enercon, Volkswagenwerk Emden, Werften, etc.), im Fremdenverkehrsgewerbe an der Küste und auf den Inseln sowie bei Bundeswehreinrichtungen, Schulen, Behörden, Einzelhandel und in verschiedenen Dienstleistungsbereichen zu finden. Mit der Vermietung von Zimmern und Ferienwohnungen an Gästen haben sich zudem einige Bauern und Privatpersonen eine weitere Einnahmequelle erschlossen.

Energieversorgung: Eine im Jahre 1924 gegründete Elektrizitäts-Genossenschaft für Holtgast und Umgebung scheiterte zunächst an mangelnder Unterstützung in der Dorfbevölkerung. Am 23.1.1934 folgte dann die Gründung der neuen E-G. Holtgast-Utgast, die anschließend beide Gemeinden bis zu ihrem Ende am 9.2.1959 mit elektrischer Energie versorgte. Danach übernahm die EWE die Strom- und seit 1984 auch die Gas-Versorgung der meisten Haushalte in unserem Ort.

Verkehr: In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden im Bereich der Gemeinde zwei alte Wegverbindungen ausgebaut. Dies waren 1870 die neue Straße von Esens in Richtung Fulkum und Dornum sowie im Jahre 1888 die Landstraße, die Westerholt und das Holtriemer Land mit Holtgast verband. Mit der fiskalischen Aufteilung des Holtgaster Feldes wurde ein weiterer Weg vom “Ziegelhof“ zum “Coldewind“ als Abkürzung zum damals bedeutsamen “Westerackumer Syhl“ über Utgast und Damsum angelegt. Dieser Weg erhielt von 1947 bis 1948 bis nach Utgast eine Schlackendecke. Ab 1963 folgte ein Ausbau zur Kreisstraße in der gesamten Länge.

Die im Jahre 1883 fertig gestellte und am 14. Juni d.J. eingeweihte Küsteneisenbahn von Norden nach Sande, führte anfangs noch ohne einen Haltepunkt durch unser Dorf. Hier gab es nur ein Abstellgleis für Waggons mit Schlick aus Ausbaggerungsarbeiten der Ems, der den örtlichen Bauern auf Betreiben des “Meliorationsvereins Amt Esens“ zur Bodenverbesserung angeboten wurde. Nachdem einige Auflagen der “Königlichen Eisenbahndirektion zu Münster (Westf.)“ im Jahre 1911 erfüllt worden waren, erhielt die Gemeinde im folgenden Jahr einen provisorischen Bahnsteig an der Straßenseite, der 1936 auf die andere Schienenseite verlagert und ausgebaut wurde. Im Jahre 1912 entstand auch das Gebäude “Haltestelle“ mit einem Fahrkartenverkauf und einem Wartesaal. Der Haltepunkt der Reichs- und späteren Bundesbahn war für die weitere Entwicklung unseres Ortes sehr bedeutend. Durch eine die zunehmende Motorisierung im Güter- und Personenverkehr wurde der Schienenverkehr später jedoch unrentabel und so verkehrte der letzte Personenzug auf dieser Bahnstrecke am 28. Mai 1983. Nach einem Gleisrückbau entstand 1985-86 auf dem Bahnkörper zwischen Dornum und Holtgast ein neuer Radwanderweg.

Wasserwirtschaft: Der Gemeindebereich von Holtgast wurde ab 1965 an die Trinkwasserversorgung (OOWV) und der Innenbereich ab 1994 an das Abwassernetz der Stadt Esens (inzwischen ebenfalls OOWV) angeschlossen. Das Oberflächenwasser des Dorfgebietes wird überwiegend über div. Abzugsgräben in das “Hammertief“ und das “Holtgaster Tief“ geleitet. Von dort aus fließt das Wasser weiter über das “Hartsgaster Tief“ in Richtung Westeraccumer- / Dornumersiel / Nordsee. Für diesen Teil der Gemeinde ist die Sielacht Dornum zuständig. Während das Oberflächenwasser des Ortsteils “Coldewind“ von dem Utgaster Entwässerungssystem aufgenommen wird, fließt dieses aus dem östlichen Teil unseres Dorfes ab dem „Birkenweg“ zusammen mit den Ortsteilen Mühlenstrich und Wold in das “Benser Tief“, welches sich in der Zuständigkeit der Esenser Sielacht befindet. Dieses Tief ist mit seinem heutigen Erscheinungsbild, zu dem auch das Stauwehr in Holtgast gehört, nach einem weiteren Ausbau von 1967 bis 1971 entstanden. Zuvor ist der einstige, natürliche Wasserlauf, welcher in der Karte von  J. B. Regemort aus dem Jahre 1670 noch mit “The“ benannt wurde, im 19. Jahrhundert zum “Esens-Wittmund-Kanal“ ausgebaut und 1870/71 eingeweiht worden. Vor diesem Ausbau lauteten die Bezeichnungen im 18. und 19. Jahrhundert im Bereich des früheren Klostergeländes von Marienkamp “Klostertief“ und ab dem „Schafhauser Wald im südlichen Teil “Reihertief“.  

  1. Politische Orientierung und öffentliche Meinung

Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung vom 26. Januar 1919 erreichten in Holtgast zunächst die liberale DDP (Deutsche Demokratische Partei) mit 66% der Stimmen vor der SPD 26%, DVP = 7% und DNVP = 3,6 % das beste Ergebnis. Bei der folgenden Reichtagswahl im Jahre 1920 erhielt dann die Nationalliberale DVP mit 57% den größten Zuspruch vor der konservativen DHP (Deutsche Hannoversche Partei) mit 23,5%. Die SPD spielte bei dieser Wahl schon keine Rolle mehr.

Die problematische Wirtschaftslage der Folgezeit bewirkte bei den nächsten Wahlen eine Wählerbewegung zu Gunsten von rechtsradikalen Parteien. Im Jahre 1924 war der Völkisch Soziale Block VBSL mit 60% vor der Deutsch-Nationalen Volkspartei DNVP mit 19% am erfolgreichsten. Der zweite Wahlgang dieses Jahres am 7. Dezember bescherte dann der DNVP mit 49% das bessere Ergebnis vor der NSDAP mit 33%. Dies sollte sich aber bei den Wahlen des Jahres 1930 ändern. Hier wurde die NSDAP mit 60% eindeutig die stärkste Kraft vor der DNVP die diesmal auf 19% kam. Nach dem Zusammenschluss dieser Parteien im Jahre 1933 wurden andere Parteien und Gruppierungen bedeutungslos.

Bei den ersten Wahlen nach dem 2. Weltkrieg im Jahre 1949 lag die FDP mit 24,9% knapp vor der SPD mit 24,5% der Wählerstimmen. Die CDU, die im Jahre 1953 mit einem Wähleranteil von 46,4% stärkste Kraft wurde, musste sich 1949 noch mit 15,4% begnügen.

Die Christdemokraten erhielten jedoch bei den folgenden Wahlen (1953:46,4%; 1957:60,1%; 1961:54,8%; 1965:58,2%; 1969:54,9%) meistens die absolute Mehrheit. Während der Stimmanteil für die FDP von anfänglich 24,9% im Jahre 1949 bei den Wahlen der folgenden Jahre (1953:12,2%; 1957:3,1%; 1961:12,4%; 1965:11,7%; 1969:7,9%) abnahm, konnte sich die SPD nach einem anfänglichen Einbruch anschließend wieder über Stimmenzuwächse freuen (1953:11,8%; 1957: 15,9%, 1961:23,0; 1965:26,9%; 1969:36,0%).

Bei den Bundestagswahlen des Jahres 1972 gelang den Sozialdemokraten erstmals mit 49,6% der Wählerstimmen ein besseres Ergebnis als der CDU (44,7%). Eine etwas höhere Akzeptanz der SPD gegenüber der CDU konnte auch bei den darauf folgenden Wahlen auf Landes- und Bundesebene festgestellt werden. Eine Ausnahme bildete die Niedersachsenwahl des Jahres 2008, die der CDU ein besseres Wahlergebnis bescherte. Bei den Wahlen zu überregionalen Parlamenten spielten kleinere Parteien und extreme Gruppierungen nur eine untergeordnete Rolle und erreichten immer nur einen geringen Stimmenanteil. Bei den Kommunalwahlen auf Kreisebene und in der Gemeinde wichen die Ergebnisse jedoch häufig von den überregionalen Wahlen ab.

Bis 1972 gab es im Holtgaster Gemeinderat nur eine überparteiliche Wählergemeinschaft. Nach dem Zusammenschluss der früheren Dörfer Damsum, Fulkum, Holtgast und Utgast zur Einheitsgemeinde bewarben sich die Kandidaten zunächst auf Parteilisten der CDU und SPD. Hier zeichnete sich eine hohe Zustimmung für die christdemokratischen Kandidaten ab, die von den 11 Gemeinderatssitzen meistens 7 errangen. Daran änderte sich auch nicht viel, als frühere Kandidaten der CDU zusammen mit anderen im Jahre 1991 die Wählergemeinschaft “FWH“ (Freie Wählergemeinschaft Holtgast) gründeten und sich die Kandidaten der bisherigen SPD-Liste zusammen mit anderen im Jahre 2006 auf eine Wähler-Liste mit der Bezeichnung “BGH“ (Bürgerstimme für die Gemeinde Holtgast) bewarben.  

  1. Gesundheit und Soziales

In Holtgast gab es kein eigenständiges Armenwesen wie in Kirchstandorten. Die Herdbauern wurden jedoch zu einer Abgabe in die Armenkasse von Esens verpflichtet und nahmen auch s.g. Armenpfleglinge zur Betreuung auf. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat es in unserem Dorf vorübergehend eine Sterbekasse für die Gemeindemitglieder gegeben, die aber wieder aufgelöst wurde.

Durch die nahe Ortslage zur Stadt Esens werden inzwischen viele der dortigen sozialen und gesundheitsorientierten Angebote von den Holtgaster Bürgern mitgenutzt. In dem Zeitraum von 1990 bis 1998 ließ sich in unserem Dorf ein praktischer Arzt nieder. Nach seiner Praxisaufgabe, werden die Räumlichkeiten inzwischen als Tierarztpraxis genutzt.

In Holtgast entstanden am Beginn des 20. Jahrhunderts einige Vereine, die es heute nicht mehr gibt. Dazu gehörten der Radfahrerverein “Frisch auf“ von 1906, ein Jugendverein und der Kriegerverein von 1912. Der  Klootschießer- und Bosselerverein “He kummt“ ist im Jahre 1908 gegründet worden und konnte aus diesem Grunde im Jahre 2008 das hundertjährige Bestehen seiner erfolgreichen Vereinsgeschichte feiern.

Am 29. Juni 1934 erfolgte die Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr in unserem Dorf. Zuvor gab es seit dem Jahre 1888 benannte Personen, die sich um den örtlichen Feuerschutz kümmerten. Nach dem 2. Weltkrieg mussten sich die Holtgaster Wehrmänner zunächst mit der Esenser Feuerwehr arrangieren, bis sie im Jahre 1964 selbst ein Löschgruppenfahrzeug (LF 16 TS) für den überörtlichen Katastrophenschutz erhielten. Mit dem Bau eines Feuerwehrgerätehauses im Jahr 1972 bekamen sie auch ein eigenes “Zuhause“. In der Folgezeit nahm die Entwicklung der Wehr, der auch die Feldküche für die überörtliche Feuerwehrbereitschaft angegliedert wurde, einen sehr positiven Verlauf. Das Feuerwehrhaus an der „Schulstraße“ wurde anschließend kontinuierlich erweitert, um den derzeit 38 aktiven Feuerwehrmännern und -Frauen sowie den 18 Mitgliedern der im Jahre 2001 neu gegründeten Jugendfeuerwehr, ein schlagkräftiges Domizil zu bieten.

In unserer Gemeinde lässt sich zudem seit 1911 eine Jagdgenossenschaft nachweisen, die die Pachtverhältnisse für den Jagdbezirk regelt.

Im Jahre 2000 entstand schließlich ein Heimat- und Verkehrsverein, der sich nach seiner Vereinssatzung besonders um die Heimatpflege und um Feriengäste im Zuge des aufstrebenden Fremdenverkehrs dieses küstennahen Ferienortes kümmern will.  

11.  Quellen- und Literaturverzeichnis

Zu den Kurztiteln und zu den angegeben statistischen Angaben vgl. die Datei „Literaturverzeichnis Historische Ortsdatenbank Ostfriesland“.

Quellen:

Staatsarchiv Aurich: Dep. 203, Nrn. 41, 71, 79; Rep. 1, Nrn. 439, 440, 1100; Rep. 16/2, Nr. 2698; Rep. 42, Nrn. 627, 1216, 2723, 2724, 2726, 2935; Rep. 44, Nrn. 35, 105, 276, 278, 282, 849, 925, 964; Rep. 46, Nrn. 23, 55, 174, 178, 191, 192, 194, 232, 261, 263, 272, 628, 743, 744, 775, 877, 908, 975, 976, 1072, 1155, 1218, 1430, 1531, 1443, 1448, 1464, 1508, 1525, 1611, 1651, 1657, 1736, 1761, 1762, 2412,2413, 2414, 2552-54, 2560, 2616, 2636,2642; Rep. 50, Nrn. 192, 284; Rep. 170, Nr. 16; Rep. 225, Nr. 62/1; Rep. 241, Nrnn. A91, B30a, 241, B 11,b; Rep. 244, Nrn. A2661, A5508, A6609, B142, B213, B5509, C2823, C2871, C3698, C6609;

Amtsgericht Aurich, altes Vereins- und Genossenschaftsregister des Amtsgerichts Esens.  

Literatur:

Anzeiger für Harlingerland, Ostfriesisches Tageblatt. Unabhängige Tageszeitung für Esens, Friedeburg, Wittmund, Holtriem sowie Langeoog und Spiekeroog, 1862 ff.

Arends, Erdbeschreibung S. 462-463.

Balthasar Arends,  Landesbeschreibung

Bärenfänger, R., Schwarz W. und Strutzke, R. Ostfriesische Fundchronik 1996. Emder JB für historische Landeskunde 76, 1996.

Dies. Ostfriesische Fundchronik 2002. Emder JB für historische Landeskunde 82, 2002.

Becker, Johann, Dorfchronik Holtgast (1936-1956)

Gerdes, Albrecht / Burkert, Steffen (Hrsg.), Esens zu Großvaters Zeiten. Das alte Esens und Umgebung mit Bensersiel und Neuharlingersiel in über 450 Fotos aus der Sammlung Albrecht Gerdes / Steffen Burkert. Esens 2000.

Heyken, Heyko, Die Weinkaufsprotokolle des Amtes Esens. Bearbeitet von Heyko Heyken nach grundlegenden Vorarbeiten von Heino Mammen. T. 1. 2. Aurich: Upstalsboom-Gesellschaft 1998, S. 683-694.

Houtrouw, Ostfriesland Bd. 2, S. 364-368

Hunger, Hans-Georg, Die Holtgaster Heimatgeschichte von der Eiszeit bis zur Gegenwart. Eine geschichtliche Betrachtung des alten Geestdorfes Holtgast und des Klosters Marienkamp im ostfriesischen Harlingerland, Holtgast 2009.

Ihnen, Helmuth, Festschrift 75 Jahre “He kummt“ Holtgast, 1983

Lengen, Exkursionskarte Esens.

Möhlmann, D., Denkwürdigkeiten des Hieronymus von Grest und die Harlingische Geschichte, Stade 1845. Übersetzung durch Dr. Gerhard Ohling, Aurich 1960, S.24 und 45.

OUB, Bd. 1, Nrn. 494, 497, 500, 503, 505, 506, 515, 652, 733;

OUB, Bd. 3, Nrn. 313, 380, 465, 541, 543, 649;

Remmers, Aaltuckerei, S. 107, 147.

Ritter, Friedrich, Der heilige Hatebrand und die Klöster Meerhusen und Thedingen. Die Benediktiner in Ostfriesland. (Emder Jb. 20, 1920, S. 145-173).

Sanders, Helmut, Die Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Wittmund, Aurich 1969.

Salomon, Almuth, Geschichte des Harlingerlandes bis 1600, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands) Band XLI, Aurich 1965.

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Spichal, Carl, Ein wieder aufgefundenes Missale der Augustinerchorherren von Marienkamp aus dem 15. Jahrhundert (Emder JB. 43, 1963, 79-90).

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Ders. Domus Campi beatae Mariae in Oestfrisia prope Esinghen. In: Monasticon Windeshemense, Brüssel 1977, Bd. 2, S. 279-283

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Internet: http://www.hg-hunger.de/geschichte-holtgast.htm

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http://www.hg-hunger.de/marienkamp/index.htm

Letzte Überarbeitung dieser Seite:  19. November 2009