Das 19. Jahrhundert brachte Kriege, Revolutionen und eine zunehmende Industrialisierung .

Zunächst änderte sich aber für Holtgast nicht viel.

Wer auch immer von einer "guten alten Zeit" spricht, kann damit das 19. Jahrhundert nicht gemeint haben. Denn nie zuvor gab es eine Epoche, die derart von Kriegen, Revolutionen bzw. Aufständen und schon gar nicht von einer beginnenden Industrialisierung geprägt war. Die Auswirkungen brachten eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen, vor allem für große Teile der arbeitenden Bevölkerung. Erst zum Ende dieses Jahrhunderts wurden die Verhältnisse besser, als Deutschland nach dem Sieg über Frankreich zur führenden Weltwirtschaftsmacht aufstieg und der Reichskanzler von Bismarck mit seinen Sozialgesetzen bei der Bevölkerung neue Standards einführte, die damals einmalig in Europa waren.

Wie schon in den Jahrhunderten zuvor, erreichten diese Veränderungen mit ihren Auswirkungen die kleine verträumte Bauernschaft Holtgast, in Karten aus dieser Zeit immer noch als "Holtgaste" bezeichnet wurde, erst erheblich später. Die Situation für die meisten Einwohner mussten damals sicher als ärmlich bezeichnet werden. Aber das war vorher auch nicht anders gewesen und konnte deshalb nicht dem neuen Jahrhundert zugeschrieben werden. So musste z. B. ein Arbeiter in der damaligen Zeit z. B. über 8 Tage für ein Pfund Tee arbeiten. Siehe dazu auch Währungen, Löhne und Preise um 1800.

Die französisch - holländische Besatzungszeit im napoleonischen Krieg.

Als Preußen 1806 von den Franzosen unter Kaiser Napoléon besiegt wurde und kurze Zeit später die Truppen des Königs Luis Bonaparte von Holland, einem Bruder des französischen Kaisers, in Ostfriesland einmarschierten, waren die Auswirkungen davon auch sehr bald in unserer Heimatgemeinde zu spüren. In kürzester Zeit wurde Ostfriesland ebenso wie das benachbarte Oldenburg besetzt. Dabei war die Tatsache, dass Kaiser Franz I im fernen Wien die Krone des bis dahin noch existierenden großdeutschen "Heiligen Römischen Reiches" niederlegte, hier nicht von Wichtigkeit. Da es zu diesem Zeitpunkt außerdem weder Zeitungen noch Fernsehen oder Rundfunk gab, dauerte es recht lange, bis sich neue Nachrichten herumgesprochen hatten.

Nun konnte man es aber direkt am Amtshaus von Esens in den Aushängen lesen: Das Amt Esens und somit auch Holtgast, war ein Teil des neu geschaffenen 11. Department von Holland geworden. Dies war zunächst nicht weiter schlimm, denn die Holländer waren ein Brudervolk der Ostfriesen, mit denen würde man sich schon verständigen können. Aber gerade mit dieser Verständigung wurde es schwierig. Im Grunde war man damals schon froh, wenn man den eigenen Namen schreiben konnte. Einige waren ja schon immer etwas klüger und hatten in dem Schulunterricht, der noch immer in dem alten Backhaus beim Eilts´schen Platz abgehalten wurde, beim Schreiben und Rechnen besser aufgepasst. Aber nun wurde die neue Amtssprache "Holländisch". Wer sollte da noch mitkommen? Alle Veröffentlichungen und jeglicher Schriftverkehr mussten in "Holländisch" verfasst werden und ich glaube behaupten zu können, dass dazu in Holtgast keiner fähig war, nicht einmal der damalige Dorfschullehrer Hinrichs.

Auch wenn man die neuen Steuerverordnungen selber noch nicht lesen konnte, neue unerbittliche Steuereintreiben zogen durch das Dorf und nahmen alles mit, was sie kriegen konnten und das reichte häufig noch nicht. So dauerte es nicht lange, bis das Maß übervoll wurde. Zusammen mit den Holtriemern aus Barkholt und Ochtersum zog man nach Esens und machte seinem Ärger Luft. Die Folge waren kaputte Fensterscheiben, Festnahmen, Kampfeshandlungen und Schießereien. Die Steuerlast blieb trotzdem in einer bis dahin nie gekannten Höhe und führte zu weiterer Armut.

Eine Möglichkeit für einen kleinen Nebenverdienst fanden Mutige nun beim Schmuggeln, denn die Franzosen hatten eine Kontinentalsperre für die gesamte Küstenregion verhängt. Da die größeren Häfen bewacht wurden, fanden von kleineren Häfen aus, so auch von Benser- oder Westeraccumersiel viele Schmuggelfahrten zu der zu England gehörenden Insel Helgoland statt. Die Schmuggelware wurde anschließend auf dem Landwege ins Binnenland bis nach Aurich und teilweise auch noch viel weiter südlich gebracht. Einige  Schmuggelpfade führten direkt durch unsere "Gemeine Weide" sowie über das "Alte Klostertief" und anschließend durch südlich gelegene Moorpfade, die nur Insider kannten.

1810 wurde die Besatzung der Holländer von den Franzosen abgelöst. Von da an wurde alles noch viel schwieriger. Das Land wurde neu eingeteilt und so gehörte Ostfriesland zum Department de l'Ems oriental - Provinz der Ost-Ems. Holtgast gehörte zu der Commune Ochtersum des Cantons Esens im Arrondissement Jever. Utgast, Damsum und Fulkum wurden der Commune Roggenstede zugeteilt. Dort wurde der Deich- und Sielrichter Sjut Arians aus Siepkwerdum "Maire" (Bürgermeister). Als solcher musste er zu offiziellen Anlässen entweder eine französische Uniform oder zumindest eine "blaus-weiß-rote" Schärpe tragen. 

Um das ganze sprachliche Durcheinander noch zu vergrößern, kam nun auch noch "Französisch" als Amtssprache hinzu. Durch schärfere Kontrollen und drastische Strafen der Franzosen wurde die Schmuggelei von da an weitestgehend eingestellt. Die Bürger mussten sich in vielen Bereichen umstellen. So wurden neue Maße und Gewichte festgeschrieben, das Namensrecht geändert und was für viele am schlimmsten war, man konnte inzwischen auch zum Militärdienst eingezogen werden. Damit ging ein Privileg aus der Zeit von Karl dem Großen zu Ende, der den Friesen damals für alle Zeit eine Wehrdienstbefreiung zugesichert hatte. An dies Privileg hatten sich sogar die Preußen bei der Übernahme von Ostfriesland im Jahre 1744 gehalten. Für die Gemeinde Holtgast konnte ich weder Hinweise noch Namen von Kriegsteilnehmern für die Franzosen finden. In den südlichen Fehngebieten hat es wegen den Einberufungen richtige Aufstände gegeben.

1813 kam endlich die Kunde, dass die französische Fremdherrschaft vor bei sei. Dies wurde überall, so auch bei uns, mit großer Freude zur Kenntnis genommen. Man hoffte auf alte preußische Zeiten. Aber es sollte noch zwei Jahre dauern bis sich die Lage nach der letzten großen Niederlage Napoléons in der Schlacht bei Waterloo, wieder stabilisieren sollte. Die Vorfreude auf Preußen war vergebens, denn beim "Wiener Kongress" 1816 wurde Ostfriesland dem Königreich Hannover zugesprochen.

Ostfriesland wurde nun eine Provinz im Königreich Hannover

Die Eingliederung Ostfrieslands in das Königreich Hannover brachte einige Änderungen mit sich, weil man dort darauf bedacht war, dass im ganzen Territorium gleiche Bedingungen vorherrschen sollten. In den kleinen Dörfern des Amtes Esens, so auch in Holtgast wurden ab 1819 zunächst Bauernmeister und später Ortsvorsteher gewählt und benannt.

Im Harlingerland, so auch in Holtgast beschäftigte man sich nur wenig mit der großen Politik. Man war im Grunde froh, wenn man sein tägliches Auskommen hatte und dazu benötigte man weiteres Land. Nach der Einführung der preußischen Landreform mit dem "Urbarmachungsgesetz" hatten ja schon einige Siedler und Kolonisten Flächen erhalten, wo sie sich eine neue Existenz durch Kultivierung von Brachland und Heideflächen aufbauen konnten. Die Umsetzung dieser Vorgabe  ging auch unter den neuen Landesherren weiter und so wurde die übrige "Gemeine Weide" gänzlich aufgeteilt. Hierauf machten Einheimische ebenso wie Siedlungswillige von außen ihre Ansprüche geltend. Aus einem Plan kann man erkennen, dass dieser langwieriger Prozess wohl um 1840 abgeschlossen wurde. Interessant aus dieser Zeit sind auch die Flur- und Wohnplatznamen von Holtgast.

Zuvor musste aber erst einmal ein anderes Problem in Holtgast behoben werden. Da in der Umgebung mittlerweile überall neue Schulen gebaut wurden, wollte man nun auch in Holtgast nicht länger zurück stehen und so suchte man nach einem geeignete Schulgelände. Hier wurde man schnell fündig und so wurde 1818 mit dem Bau des ersten  Schulgebäudes begonnen. Es gab aber auch Ortsbewohner, die dem Unterfangen Mistrauen entgegenbrachten, denn alle anfallenden Kosten, sowohl für den Bau der Schule als auch für den Lehrer mussten von Bewohnern, die sich zu einer "Schulgemeinde" zusammengefunden hatten, getragen werden. Man kann davon ausgehen, dass die Zeit in der in Holtgast eine "Winterschule" abgehalten wurde, spätestens mit der Einrichtung dieser neuen Schule zu Ende ging. 

1823 wurde für die damals tätigen Lehrer im Amt Esens mit der Neuregelung des Schulgeldes ein erster "Tarifvertrag" erstellt, der uns einen interessanten Einblick in die Problematik jener Tage gibt.


Übrigens ...       1821 wohnten auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Holtgast insgesamt 961Einwohner:

Damsum = 139 Ew., Fulkum = 243 Ew., Holtgast = 284 Ew. und Utgast = 295 Ew.


Das Harlingerland wurde 1825 von einer weiteren sehr schweren Sturmflut heimgesucht, denn ...

 


in der Februarflut vom 3. auf den 4. durchbrach eine Flutwelle nicht nur die Insel Juist (an dieser Stelle entstand später der Hammersee), eben so sehr traf es Baltrum. Dort wurde das Westdorf bis auf 2 Häuser völlig zerstört. 

Wie schon häufig zuvor bekam Langeoog diese Naturgewalten wieder besonders hart zu spüren und zerbrach anschließend in drei Teile. Aber auch am Festland entstanden riesige Schäden. So brach vor Damsum der Deich mit der Folge, dass das gesamte Dorfgebiet in kürzester Zeit überflutet wurde.
Im übrigen Ostfriesland kam man wohl etwas glimpflicher davon. Aber auch dort sprach man von 200 Menschenopfer.

 


Und dann kam eine Zeit mit Aufständen und Revolutionen,

denn im übrigen Deutschland wurde der Ruf nach Freiheit, mehr bürgerlichen Rechten und nationale Einheit immer größer. Konnte das Freiheitsbegehren von Bürger und Bauern zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert in südlichen deutschen Regionen, in der Schweiz und Österreich noch gewaltsam unterdrückt werden, übertrugen sich nun aber die Einflüsse der Revolutionen Frankreichs in die grenznahen Gebiete von Deutschland.

Dazu kamen nach der Erfindung der Dampfmaschine auch die Auswirkungen des neuen Industriezeitalters, in dem Maschinen zunehmend Handarbeitsplätze vernichteten. Diese Maschinen hatten auch schon auf den großen Gütern Einzug gehalten, so dass selbst in der Landwirtschaft viele Arbeitsplätze verloren gingen. Verzweifelt suchten die Arbeitslosen ihr Glück in den Großstädten, im Bergbau oder in der Seefahrt. Gewissenslose Unternehmer nutzten diese Situation vielfach sogar mit dem Wissen der Landesherren aus und beschäftigten ihre Mitarbeiter zu Niedrigstlöhnen täglich bis zu 12 Stunden und länger an 6 bis 7 Tage in der Woche. Zum Überleben war die Mitarbeit der Frauen und sehr häufig auch der Kinder und das schon ab dem 6. Lebensjahr (!) erforderlich. In dieser Zeit entstanden an den Großstadträndern große Slums mit einem unvorstellbaren Elend.

Von dieser Entwicklung blieb Ostfriesland und das kleine Holtgast weitestgehend verschont und im Vergleich mit den katastrophalen Lebensbedingungen dort, ließ sich die ärmliche Lebensweise in unserem Dorf noch ganz gut ertragen.


Die neue Einwohnererhebung von 1848 brachte einen Bevölkerungszuwachs auf 1072 Einwohner in unserer Gemeinde:

Damsum = 190 Ew., Fulkum = 268 Ew., Holtgast = 295 Ew. und Utgast = 319 Ew.


Nun kommt sicherlich zurecht die Frage, was diese Geschehnisse fernab von Ostfriesland mit unserer Heimatgeschichte zu tun haben. Sie gehören nach meiner Meinung mit zu der damaligen Zeit. So lassen sich die Ereignisse bis 1850 auch besser einordnen. Denn vor dem Hintergrund dieser dramatischen Lebensverhältnisse überzog von nun an eine Flut von Protesten, Kundgebungen und Aufständen das ganze Land und führte schließlich zur Märzrevolution von 1848

Danach wurde bereits am 1. Mai d. J. eine neue Nationalversammlung "frei" gewählt. Wie viele Holtgaster an dieser Wahl teilnehmen durften, ist nicht bekannt. Ausschlaggebend für das Wahlrecht war damals eine gewisse Selbstständigkeit. Davon wurden die Frauen im 19. Jahrhundert komplett ausgeschlossen. Da zunächst nur Wahlmänner gewählt wurden, die dann die Abgeordneten bestimmten, wurden die Interessen der privilegierten Oberschicht zudem um ein vielfaches höher bewertet, als die der anderen. 

Die in der Frankfurter Paulskirche tagende Nationalversammlung konnte in den zwei Jahren ihres Bestehens, die hochgesteckten Ziele nicht erfüllen. Trotz guter Arbeit scheiterte sie schließlich an den in dieser Versammlung dominierenden, aber auch rivalisierenden Mächten Österreich und Preußen sowie an der Frage, ob aus der Kleinstaaten- gemeinschaft wieder ein großdeutsches Reich, wie aus der Zeit des "Heiligen Römischen Reiches" oder eine kleindeutsche Variante unter der Führung Preußens aber ohne Österreich und dessen Balkanstaaten, werden sollte. 

Nach dem Scheitern der Nationalversammlung gab es überall neue Proteste und Aufstände, die mit Hilfe der preußischen Armee niedergeschlagen wurden. An dem Beispiel von Carl Gittermann können wir erfahren, dass diese Ereignisse inzwischen auch bei uns eine große Beachtung fanden.

Die Rivalität der beiden Großmächte ging jedenfalls weiter und führte nach dem Deutsch-Dänischen Krieg schließlich auch zum Deutsch-Deutschen Krieg im Jahre 1866 zwischen Preußen und Österreich mit ihren jeweiligen Verbündeten. Aus diesem Krieg ging Preußen letztlich als Sieger hervor. Dies führte dazu, dass das Königreich Hannover als Bündnispartner von Österreich seine Selbstständigkeit verlor und eine preußische Provinz wurde. Somit gelangte Ostfriesland zum dritten Mal zum preußischen Hoheitsgebiet. Diesmal blieb aber kein Raum mehr für Eigenständigkeiten und so verlor die ostfriesische Ständevertretung, die "Landschaft", seine politische Funktion. Die Landschaft suchte sich von nun an als Kulturparlament neue Aufgaben.

Preußen als Teil des "Norddeutschen Bundes" unter Reichskanzler von Bismarck war aber immer noch nicht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Dazu bedurfte es eines weiteren Krieges 1870/71 gegen Frankreich, an dem auch viele Ostfriesen und 15 Holtgaster teilnahmen. Auch dieser verlief erfolgreich und endete in Versailles bei Paris mit der Proklamation von 

Wilhelm I zum Deutschen Kaiser.

Nun hatte Deutschland doch noch die Grenzen der kleindeutschen Variante, so wie sie in der "Frankfurter National- versammlung" wenige Jahre zuvor schon einmal vorgeschlagen wurde. Dazu kamen allerdings das Elsass und ein Teil von Lothringen.

Nach 1871 mauserte sich das neue Deutschland zur größten Weltwirtschaftsmacht und das hatte auch für das kleine Ostfriesland durch viele Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen wie Straßen-, Kanal- und Eisenbahnbau, sehr positive Auswirkungen.

Aber was war sonst noch in diesen Jahren passiert in der ich der großen Politik zunächst den Vorrang gab?

Es gab einige erfreuliche Entwicklungen für Holtgast und seine Nachbarorte.

Immerhin hatten Holtgaster Bauern entdeckt, dass sie die landwirtschaftlichen Erträge ihre Ländereien durch "Mergeln" erheblich verbessern konnten. Dies führte zu einem bescheidenen Wohlstand im Dorf und man konnte sich aus den Frondiensten für die Domäne Schoo freikaufen.

Es gab allerdings auch schon erste Auswanderungen von jungen Dorfbewohnern, die hier kein Fortkommen mehr sahen. Sie suchten ihr Glück in der neuen Welt Amerika. Wichtigster Auswanderungshafen wurde Bremerhaven. In diesem Zusammenhang kam es 1854 zu einer Tragödie, bei der das Auswandererschiff "Johanna" vor Spiekeroog strandete.


1855 gab es am 1.1. wiederum eine schwere Sturmflut an unserer Nordseeküste, bei der das Dorf Alt-Wangerooge am Westende der gleichnamigen Insel unterging.


In Esens musste 1847 das Gotteshaus, die St. Magnus Kirche aus dem 12. Jahrhundert, wegen Baufälligkeit abgebrochen werden. In der Folgezeit wurde sie in der uns heute bekannten spätklassizistischen Form in der Zeit von 1848 bis 1854 an gleicher Stelle errichtet. Der zuvor im Jahr 1844 neu erbaute Turm war von dieser Maßnahme nicht betroffen. In dem großen Kirchspiel Esens, zu dem die Dörfer Damsum, Holtgast und Utgast gehörten, musste man die kirchlose Zeit mit vielen Provisorien überbrücken.

Alle die glauben, dass es den "Schafhauser Wald" schon seit ewigen Zeiten gab, muss ich enttäuschen. Denn die Aufforstungen zu einem durchgängigen Wald so wie wir ihn heute kennen, erfolgten erst ab 1860. Seinen Namen erhielt der Wald von der Domäne Schafhaus, zu der die unbewirtschafteten Flächen damals gehörten. 1842 hatte man bereits mit Aufforstungen im Bereich des heutigen Wittmunder Waldes begonnen. 

Mit 1861 kam für die Holtgaster ein weiteres wichtiges Jahr. Denn nun wurde endlich vollendet, wo man seit 2 Jahren schon dran rum geplant hatte. Holtgast erhielt seine 2. Schule an der Ecke Brandshoff / Schulstraße. Dies Schulgebäude, das viele ältere noch unter der Bezeichnung "Alte Schule" kennen, wurde damals für 1129 Taler errichtet. Aber infolge des rasanten Bevölkerungsanwuchses sollte auch diese schon bald wieder zu klein werden.

Ähnlich erfreuliches gab es 1862 aus Fulkum zu berichten. Diesmal ging es nicht um eine Schule sondern um die "Maria-Magdalenen-Kirche". Die alte Kirche, die wohl aus dem 13. bis 14. Jahrhundert stammte, war baufällig geworden. Nach dem auf dem alten Standort eine neue entstanden war, konnte sie in diesem Jahr geweiht werden.

Im Sommer des Jahres 1865 wurde auch die Fulkumer Johannimühle, ein einstöckiger Galerieholländer mit einer Windrose,  errichtet. Nach dem Zusammenschluss der Gemeinden 1972 wurde sie später das Wahrzeichen der neuen Gemeinde Holtgast - bis ein Feuer sie am 21. 8.2000 völlig zerstörte. 

Nach mehrjährigen Bau, an dem auch Arbeiter aus unserer Gegend beteiligt waren, konnte am 17. Juni 1869 der neue preußische Kriegshafen Wilhelmshaven eingeweiht werden.

1870 bekam Holtgast seine erste Straße, denn die Landstraße Esens - Dornum - Norden im Bereich des alten Handels- und Heer- sowie Postweges von Norden nach Esens wurde ausgebaut. Zur Finanzierung der Straßenbaukosten wurde dabei am Ziegelhof eine eine "Wegegeldhebestelle" eingerichtet.


Neue Einwohnerzahlen: 1871 wuchs die Bevölkerungszahl auf 1190 Einwohner in unserer jetzigen Gemeinde:

Damsum = 209 Ew., Fulkum = 292 Ew., Holtgast = 384 Ew. und Utgast = 305 Ew.


Inzwischen gibt es immer genauere Informationen über unser Dorf. Ab dem Jahr 1880 können die bis dahin bestehenden Gebäude mit den Namen der damaligen Besitzer auf der Gebäudeliste von Holtgast nachgewiesen werden.

Zwischen 1882 bis 87 wurde im Süden des späteren Kreisgebietes der Verbindungskanal von Aurich nach Wilhelmshaven gebaut. Somit gab es ab 1887, als der "Ems-Jade-Kanal" eingeweiht wurde, eine durchgehende Schiffsverbindung durch das ostfriesische Binnenland von Emden über Aurich bis Wilhelmshaven.

Ein weiteres Großereignis gab es bei uns 1883. Damals erfolgte der Bau der Eisenbahnverbindung zwischen Norden und Sande, der s. g. "Küsteneisenbahn", die in ihrem Verlauf auch durch Fulkum und Holtgast führte. Diese komfortable Verkehrsverbindung  brachte für unsere Gemeinde einen weiteren Aufschwung. Am Anfang bestand jedoch in Holtgast noch keine Haltestelle für den Personenverkehr, sondern nur eine Möglichkeit Waggons zu entladen. Fulkum war da schon besser dran, denn hier war damals schon Begegnungsverkehr möglich.

1885 wurde für uns ein sehr spannendes Jahr. Denn am 1. April entstand der neue Landkreis Wittmund aus den alten Ämtern Wittmund sowie Stadt und Land Esens zusätzlich mit dem Amt Friedeburg, der Herrlichkeit Gödens und dem preußischen Kriegshafen Wilhelmshaven. Zur großen Enttäuschung von Esens erhielt jedoch der damaligen "Flecken" Wittmund durch seine zentralere Lage den Kreissitz.

Die rege Bautätigkeit von neuen Straßen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten die bis dahin geltenden Wegeverbindung entlang der alten Postwege sowie Handels- und Heerstraßen erheblich. Auch wenn heute bei den Straßenbezeichnungen noch vielfach Bezug auf die alten Wegnahmen genommen wird, lohnt in dieser Beziehung für Geschichtsinteressierte der Blick in alte Karten. Nach der Campschen Karte von 1804 führte z. B. die Verbindung von Aurich nach Esens entlang des alten Postweges über Sandhorst, Meerhusen, Langefeld, Brill vorbei an Dunum zum Gabenser Weg und dann weiter über Folstenhausen nach Esens.

Mit dem Bau der 2. Landstraße 1888 von Westerholt über Ochtersum und Barkholt nach Holtgast wurde das Holtriemerland mit unserem Dorf verbunden. Somit gab es eine zweite Verbindung mit Norden und auch der Sitz der Landdrostei Aurich war von nun an über eine Straßenverbindung zu erreichen. Diese neue Landstraße veränderte das alte Ortsbild unseres Dorfes ebenfalls, denn sie führte nicht mehr entlang des "Alten Postweges" durch den "Brandshoff" bis zum "Splitt", sondern machte in Höhe des heutigen Goldenstein´schen Hof an der Barkholter Straße einen Schwenk in Richtung des alten "Katrans Weges" zum Coldewind / Utgast um bei der "Leern Lamp" auf die Straße von Dornum nach Esens zu stoßen. Der alte Gemeindeweg wurde danach aufgehoben und besteht heute nur noch nördlich von der Kreuzung weiter.

Seit 1888 gibt es auch Aufzeichnungen über das Feuerlöschwesens in Holtgast

Infolge der verbesserten wirtschaftlichen Situation gab es im Gemeindegebiet in den nächsten Jahren auch eine rege Bautätigkeit.

1897 legte der damalige Ortsvorsteher sein Amt nieder, weil er mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Als Nachfolger wurde Mense Feith gewählt.

1899 wurde die Schulgemeinde aufgefordert, Verbesserungen an der Lehrerwohnung vorzunehmen und einen Schulspielplatz zu errichten. Danach begannen die Planungen für eine weitere neue Schule.

 

Fortsetzung 1901 bis 1950