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Die Holtgaster Heimat-Geschichte

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Die Weihnachtssturmflut von 1717

(Quelle: Anzeiger für Harlingerland vom 19. u. 22.12.1998 - Sonderbericht zu der Sturmflut v. Michael Clemens)

Diese Naturkatastrophe hat die Küstenbewohner in der Nacht vom 24.auf dem 25.12. des Jahres völlig unvorbereitet überrascht. 

Nachdem der Orkan zuvor tagelang heftig aus Südwesten getobt hatte, drehte er plötzlich auf Nordwest und bewegte dadurch riesige Wassermassen auf die Küste zu. 

Große Teile von Ostfriesland wurden dabei überflutet. Das Wasser drang sogar bis nach Aurich und in die Geest vor. Man zählte rund 930 Häuser die weggespült und teilweise kilometerweit entfernt wieder abgesetzt wurden.

Einige Deiche wurden dabei völlig vernichtet. Die ostfriesische Küste wurde danach an vielen Deich- bruchstellen mit Kolken übersät und die Menschen brauchten Jahre, um die alte Deichlinie wieder herzustellen.

Dabei hatte fast jedes Dorf und jede Stadt an der Küste seine eigene traurige Leidensgeschichte, denn nach offiziellen Angaben starben bei dieser Katastrophe 2752 Menschen. 

Im Harlingerland war der Deich an 63 Stellen gebrochen. Die meisten Menschenopfer hatten  die Kirchspiele Westeraccum (397), Funnix (243), Werdum (134) und Berdum (113) zu beklagen. Die Bilanz des Alten Amt Esens waren 842 ertrunkene Menschen, 230 Häuser die komplett weggespült und ca. 400 Häuser die beschädigt wurden. Außerdem kamen ca. 300 Pferde und ca. 1300 Rinder um.

Wer starke Nerven besitzt und die Details der Schreckensnacht und der folgenden Tage wissen möchte, an dem viele Opfer oder Überlebende z. T. nackend auf Bäumen, Dächern, Böden oder Stroh- und Heuhaufen bei eisigen Temperaturen ausharren mussten, der sollte sich die Bücher von Friederich Arends "Physische Geschichte der Nordseeküste" oder von Johann Friderich Janshen "Historisch - Theologisch Denkmal der Wundervollen Wegen Gottes in den großen Wassern, welche sich Anno 1717, den 25. Decemb. zu vielen Ländern so erschröcklich ergossen", ansehen.

Hier eine kleine Auswahl von Schicksalen, die einen kleine Einblick in das Geschehen jener Nacht geben:

Das Wunder von Funnix. 

(Quelle: Engelkes: Gekürzte Ausgabe von Sagen und Erzählungen aus dem Harlingerland.)

In Funnix hatte der Bauer Klaas Ulferts noch einmal über den Deich geschaut. Die Kinder erwarteten ihn voller Angst wegen des Sturms, aber er tröstete sie, indem er von sicheren Deichen und dem unschädlichen Südweststurm erzählte. "Und überhaupt, morgen ist Weihnachten, freut euch über eure Gaben."

Mitternacht war vorüber, als die Bäuerin erschreckt aus dem Schlaf auffuhr. Da waren unheimlich laute Geräusche zu hören. Das Brüllen des Unwetters wurde durch ein lautes Krachen verstärkt. Die Bäuerin weckte ihren Mann: "Klaas, da stimmt etwas doch etwas nicht mit deinem harmlosen Südweststurm!" Schlaftrunken ging der Bauer zum Fenster, schaute und befahl mit fester Stimme: "Weck die Kinder und ziehe sie an, der Wind muss sich gedreht haben, draußen ist die Hölle los!" Aus dem Sturm war ein Orkan geworden, der sich auf Nordwest gedreht hatte.

Die Flut ergoss sich mit ungeheurer Wucht gegen die Deiche, zerriss diese, zerbrach Siele und stürzte tosend in das ungeschützte Land.

Klaas schnappte sich seine Familie und kämpfte sich hinauf auf dem höchsten Punkt des Dorfes. Dort standen bereits mehrere durchnässte Familien frierend in der Kälte und das Wasser stieg und peitschte gegen die Warft.

"Wir sind alle verloren, es gibt keine Rettung in dieser dunklen Nacht. Hier liegen zwei Boote, dort hätten gerade mal die Kinder Platz. Wir haben keine andere Wahl, versuchen wir zumindest den Kindern eine Chance zu geben." Im Gottvertrauen schickte man die Boote mit den Kindern in die tobende See. Funnix wurde danach völlig überschwemmt und versank in den reißenden Fluten.

Die beiden Boote landeten schließlich vor Wittmund mit 80 Kindern an Bord. Dort wurden sie geborgen und in wärmende Decken gehüllt und fanden Unterschlupf in den Häusern der Bürger dieser Stadt. Es fanden sich später leider nur noch wenige Elternteile, die ihre Kinder wieder in den Arm nehmen konnten. Die meisten von ihnen waren ertrunken.

Der Untergang des Westdorfes von Juist

Die Bewohner des Westdorfs der Insel besuchen den Gottesdienst in der Kirche. Danach bleiben sie noch eine Weile und berieten ob sie in der Kirche bleiben sollten oder nicht. Ihre Entscheidung doch nach Hause zu gehen, sollten sie nicht überleben. Denn auf dem Rückweg wurden die nächtlichen Wanderer von einer gewaltigen Flutwelle erfasst. Am nächsten Tag wurden sie tot in den Dünen gefunden. Auch die Kirche und das Westdorf wurden in dieser Nacht so stark zerstört, dass sie in der Folgezeit nicht wieder aufgebaut wurden. Die Flutwelle und der ungewöhnlich schnelle Anstieg des Wassers ist nur mit einem Dünendurchbruch zu erklären.

Wundersame Rettung von Bewohnern auf s. g. Drift- bzw. Schwimmdächern.

Auf der Insel Spiekeroog wird erzählt, dass eine Familie sich bei der Flut auf dem Dachboden ihres Hauses in Sicherheit gebracht hätte. Der Mann hatte sich zuvor eine Dachkonstruktion ausgedacht, die lose auf den Außenwänden lag. Bei dem Anstieg der Fluten trieb diese Dach-/ Floßkonstruktion tatsächlich von der Insel fort auf das Festland und rette somit seine Bewohner.

Diese Bauweise wurde nach der Flut häufig nachgebaut und ist heute noch auf der Insel Spiekeroog und in Neuharlingersiel ("Dattein") anzutreffen.

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Nur 8 Wochen später kam in der Nacht vom 25. zum 26. Februar 1718 die nächst Sturmflut, die nur ca. 3 Fuß ( 1 Fuß ist 32 cm. ) niedriger war. Diesmal wurde ein großer Teil von Ostfriesland so sehr mit Salzschlick überschwemmt, dass das ganze Wintergetreide erstickte. 

Nachdem man die Deiche gerade einigermaßen wieder repariert und erneuert hatten, mussten diese am Sylvestertag 1720 eine erneute Bewährungsprobe bestehen. Diese Sturmflut war sogar noch 1 1/2 Fuß höher als die Weihnachtsflut von 1717. Obwohl das Wasser an vielen Stellen über die Deiche floss, waren die Schäden an der Festlandsküste diesmal eher gering.

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